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Weltmusik und weißer Stock

Die Konzerte der blinden Portugiesin Dona Rosa gehören zurzeit zu den erfolgreichen Weltmusik-Veranstaltungen. Gelegentlich wird die Sängerin schon mal als "Königin des Fado" allzu schlagzeilenstark angekündigt: Wäre eine Begegnung mit der Künstlerin nicht interessant für Blinde in Deutschland?

Künstlerbetreuung gehört ja nicht eben zu den Anliegen eines Selbsthilfevereins der Blinden und Sehbehinderten und vor dem Lübecker Uli Siebers war wohl auch kein Konzertveranstalter auf den Gedanken gekommen, sich Hilfe suchend nach solch einem Partner umzuschauen. In seiner Reihe "Frauen Stimmen" sollte die Dona Rosa auftreten, und die ist blind. Doch würde sie den Kontakt zu deutschen Blinden überhaupt wollen? Künstler wollen doch über ihre Kunst und nicht über ein Handicap wahrgenommen werden. Und Dona Rosa, so war zu hören, sei auch argwöhnisch, weil sie das Leben gelehrt hat, wie gern sich andere auf ihre Kosten schadlos halten.

Rosa Francelina wurde am 1. Februar 1957 im nordportugiesischen Ovar in eine vielköpfige aber bettelarme Familie hineingeboren. Im 4. Lebensjahr erblindete sie als Folge einer Meningitis, doch wurde sie erst mit 9 in die Blindenschule nach Lissabon vermittelt. Nach deren Absolvierung sollte sie in einem von Nonnen geführten Heim leben. Weil sie sich damit nicht abfinden mochte, wurde sie in einen Überlandbus gesetzt, der sie zu ihren Eltern in die kleine Stadt im noch ärmeren Norden bringen sollte. Doch kaum angekommen, fuhr das Mädchen auf eigene Faust zurück nach Lissabon, um von einer alten Freundin zu lernen, wie man auf der Straße überlebt. Man verkauft Lottoscheine, Zeitschriften und Blumen und besteht mit etwas Glück und robuster Gesundheit einen harten Daseinskampf. Doch wem eine ausdrucksfähige Stimme gegeben ist und ein Triangel geschenkt wird, kann es auch mit Gesang versuchen.

Für gewöhnlich saß die kleine Frau mit den kurzen Beinen auf ihrem Stuhl am Rande einer belebten Straße vor dem Eingang einer Bank und um sie herum pulsierte die vitale Metropole Portugals. Ihre kräftige Stimme erhob sich über den Lärm des städtischen Treibens mit einer Ausdruckskraft, an der die Passanten kaum gleichgültig vorüberziehen konnten. Mancher warf Münzen ins Schälchen und die Sängerin hauchte ein brigada! (Dankeschön) zwischen die Zeilen ihrer oft melancholischen Lieder.

Das war der Alltag von Rosa Francelina Dias Martins schon seit langem. Doch dann in ihrem 42. Lebensjahr trug sich zu, was in hiesigen Zeitungen immer wieder märchenhaft genannt wird.

Der Wiener Künstler André Heller ließ die blinde Straßensängerin nach Marrakesch holen, wo sie in der Produktion seiner Fernsehsendung "Stimmen Gottes" mitwirkte. Seither wird die rundliche kleine Frau mit der ausdrucksvollen großen Stimme zu den einschlägigen Festivals eingeladen und trat an den wichtigsten deutschen und österreichischen Veranstaltungsorten der Weltmusik auf vom Berliner Tränenpalast bis zum Wiener Haus der Musik, von der Dresdner Frauenkirche bis zur Hamburger "Fabrik".

Im März 2003 hatte die Plattenfirma Jaro eine 3-wöchige Tour zur Vorstellung der nunmehr 2. CD von Dona Rosa organisiert: "Segredos", das sind Lieder von der Liebe, vom Tod und der Schwierigkeit, in Würde zu leben, traditionelle portugiesische Lieder großer Ursprünglichkeit und Emotionalität. Wer sich in Deutschland mit der Weltmusikszene beschäftigt, kennt auch Dona Rosa, die schon mehrmals hierzulande gastierte.

Das Leben von Musikern auf Tour ist sicher nicht ohne Tristesse. Immer sind sie am Weiterziehen von Bühne zu Bühne, von Hotel zu Hotel. Die Begegnung mit Land und Leuten bleibt flüchtig. Nach Frankfurt/Main, Berlin, Linz, Wien, Innsbruck, Saalfelden, Pforzheim und Bremen war Dona Rosa mit Gitarrist Raul Abreu und Akkordeonist Enzo d'Aversa in Lübeck aufgetreten und erst am übernächsten Tag sollten sie in Bielefeld sein. Und so stimmten die Musiker gern zu, ihre Sängerin zu einer doch ganz anderen Begegnung in die Memelstraße zu begleiten.

Dona Rosa war von Annegret Walter, der Vorsitzenden des Blinden- und Sehbehinderten-Vereins Schleswig-Holstein dorthin auf den Vormittag eingeladen, den Verein in seiner Geschäftsstelle zu besuchen, das Hilfswerk blinder Handwerker zu besichtigen und schließlich im Wohnheim am Tremser Teich gemeinsam zu essen.

Anders als mancher Medienbericht glauben macht, ist Dona Rosa keine Märchenprinzessin.

Trotz Publikumserfolg in Mitteleuropa sind in diesem Kunstsegment nicht so leicht Reichtümer zu verdienen. Und so ist sie eben doch noch immer zu Hause auf den Plätzen, wo man sich von Almosen ernährt. Wie würde sie es aufnehmen, wenn wir ihr zeigen, wie Blinde hier leben, arbeiten und wohnen?

Als man sich im BSVSH auf die Begegnung vorbereitete, kam eine Anfrage der Plattenfirma Jaro gerade recht. Ihre Künstlerin wünsche sich so sehr, ihren alten Klappstock durch einen stabilen neuen zu ersetzen; Wo man so etwas besorgen könne. Damit war für Annegret Walter klar, was ihr Gastgeschenk für Dona Rosa sein würde.

Keine Kamera hat es festgehalten, aber wer dabei war, wird kaum je vergessen, wie die portugiesische Sängerin Dona Rosa fassungslos vor Glück weinend in den Armen von Annegret Walter lag, die ihr den ersehnten Stock übergab. Dass sich auch noch eine Punktschriftschreibmaschine erübrigen ließ, machte sie gänzlich fassungslos, war die ihre doch unrettbar und kaum ersetzbar defekt. Uns wurde wieder einmal bewusst, wie groß die sozialen Unterschiede innerhalb der Europäischen Union noch immer sind und wie wenig es bedarf zu helfen. Am Handgelenk trug die blinde Sängerin eine Uhr, aber es war eine ganz einfache, sodass sie immer jemand fragen muss, wie spät es auf ihrer Uhr denn sei. Aus der Hilfsmittelschau des BSV Schleswig-Holstein suchten ihre Musiker eine Blindenuhr mit Sprungdeckel aus. Sie wollen sie mit diesem Geschenk überraschen zum Abschied nach der Tour.

Dona Rosas nächste Konzertreihe für Deutschland ist schon in Vorbereitung. Aber wird sie dem hiesigen Publikum auf Dauer interessant genug sein mit ihrem archaisch-schönen, authentischen Straßen-Fado? Rosa Francelina Dias Martins tut gut daran, sich nicht von ihren Wurzeln loszumachen. Und hier in Deutschland weiß sie Menschen, die mit ihr in Fühlung bleiben.

Gern zitiert wird der Fuchs, der den kleinen Prinzen belehrt: "Man sieht nur mit dem Herzen gut!" Der Weltmusikszene ist zu wünschen, dass sie auch diesen Rat bedenkt: "Du bist Zeit Lebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich." Die 2 CDs von Dona Rosa erschienen bei JARO Medien in Bremen:
Historias da rua - 2000, Bestellnummer: 4228-2
Segredos - 2003, Bestellnummer: 4241-2

Dr. Jürgen Trinkus

Aus: "Die Gegenwart", Zeitschrift des DBSV, Nr. 7/8, Juli/August 2003.
Weitere ausgewählte Artikel aus der "Gegenwart" finden Sie auf der Homepage des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes.

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Erstellt am Do, 03.06.04, 07:46:09 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/alltag/berichte/musik.shtml

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