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Wie schaut mein Leben wirklich aus?

- Was ist problemlos und leicht? - Was geht schwer, aber doch? - Was ist mir unmöglich, wo brauche ich Hilfe?

Ich heiße Theresia Hafner, bin von Geburt an blind und bin die vorletzte von 6 Geschwistern. Durch meine ältere Schwester Elisabeth, die auch blind ist, hatte ich den Vorteil, dass meine Eltern schon mit meiner Blindheit umgehen konnten. Der zweite Vorteil war, dass meine Mutter nicht mehr so viel Zeit hatte, "um mich in den Glaskasten zu setzen". Dies hatte zur Folge, dass ich schon mit drei Jahren mit den anderen Kindern aus unserer Siedlung in den Wald spielen ging. In dieser abenteuerreichen Zeit hatte ich viel Gelegenheit, mich in allerlei Arten von Geschicklichkeit zu üben, z.B. laufen, ohne geführt zu werden, rennen über Steine, Wurzeln, Hänge und sonstige Unebenheiten, über Bäche springen oder von Stein zu Stein, bis das andere Ufer erreicht ist, auf Bäume klettern und vieles mehr. Gemeinsam entwickelten wir viele Ideen, wie ich mich bei Spielen, bei denen man einfach sehen musste, einbringen könnte, z.B. verschiedene Ballspiele, Kastelhüpfen oder fangen spielen. Das Gummihüpfen z.B. wurde mir genau erklärt, und mit ein wenig Übung konnte ich vollwertig mitspielen. Sehr oft spielten wir "blinde Kuh", und da hatte ich meine Vorteile.

Es gab jedoch auch manchmal Schwierigkeiten. Einem Buben, der ein wenig jünger war als ich, machte es Riesenspaß, mich "blinde Kuh" zu spotten. Dabei berührte er mich kurz und lief davon. Diese Berührungen wurden bald fester und fester. Damit steckte er auch einige andere Kinder an. Da die Schläge bald unerträglich wurden, blieb mir nur eine Wahl: Entweder ich blieb von nun an immer zu Hause, im Schutz meiner Eltern, oder es würde mir irgendwie gelingen, mich durchzusetzen. Da ersann ich einen Plan. Ich stellte mich sehr hysterisch und weinerlich und schrie fürchterlich, wenn die Kinder auf mich einschlugen. Ich versuchte auch kaum mehr, die mich Schlagenden zu erwischen. Dadurch wurden sie unvorsichtiger und kamen näher. Ich spielte weiterhin die Verzweifelte. Als der Bub, der alles angefangen hatte, nahe genug war, erwischte ich ihn blitzschnell, und verdrosch ihn mit meinem Holzpantoffel, den ich anhatte. Meine ganze gespeicherte Wut ließ ich ihn nun spüren. Die anderen rannten ein Stück weg. Sie konnten es doch nicht lassen, uns bis zum Schluss zu beobachten. Das Resultat dieses Plans war, dass von da an alle Kinder vor mir Respekt hatten. Auch dieser Bub war später immer freundlich, hilfsbereit und nett zu mir. Und wenn fremde Kinder gemein zu mir waren, wurde ich von da an immer von unseren Siedlungskindern fabelhaft verteidigt.

Meinem Vater machte es großen Spaß, meine Geschicklichkeit zu fördern. Er nahm mich mit zu großen Bergtouren, zum Felsenklettern, zum Schwimmen, zum Reiten, zum Schifahren und zum Tandemfahren. Meine Mutter hingegen tat sich da viel schwerer. Sie ließ mich erst im Hauptschulalter im Haushalt mitarbeiten und wusste auch nicht, wie sie mir das Binden der Schuhbänder beibringen sollte. Auch das richtige Anziehen habe ich erst in der Schule gelernt.

Die Volks- und Hauptschule besuchte ich im Odilien-Institut in Graz. Dort war ich auch im Internat. Dadurch hat sich die Beziehung zu den Kindern in unserer Siedlung so entfernt, dass ich sie heute nicht einmal an ihrer Stimme wiedererkenne. Den polytechnischen Lehrgang, drei Jahre Bürstenmacherei und ein Jahr Telefonistenkurs machte ich im Bundes-Blindenerziehungsinstitut in Wien. Nach einem Jahr Arbeitssuche bekam ich ein halbjähriges Praktikum als Telefonistin im BfB (Berufsförderung für Behinderte) in Kapfenberg. Danach hätte ich dort eine Anstellung bekommen, doch weil ich inzwischen schwanger geworden war und nach dem Praktikum zu meinem Freund nach Linz zog, kündigte ich.

Jetzt kam eine abenteuerreiche, aber schwere Zeit auf mich zu. Ich hatte noch kaum Haushaltserfahrungen wie kochen, putzen, einkaufen und alles richtig einteilen und planen, und bald nach meinem Einzug in Linz kam Emanuel zur Welt. Gleich am ersten Tag nach der Geburt kam eine Frau an mein Bett und sagte: "Wir nehmen ihn gleich mit, denn gepflegt kann er bei uns auch werden." Ich kannte mich nicht aus, und fragte, wer gepflegt werden solle. Zur Antwort bekam ich, dass ich mein Kind sowieso nicht pflegen könne, und dass es die Fürsorge deshalb gleich mitnehmen könne. Wie vom Blitz getroffen rannte ich ins Babyzimmer und holte meinen geliebten kleinen Schützling. Zum Glück fiel mir der Vorwand ein, dass meine Mutter mir bei der Pflege hilft. Natürlich band ich ihr nicht auf die Nase, dass meine Mutter nur einige Wochen bei mir bleiben würde. Erst nach Rücksprache mit meiner Mutter gab die Fürsorgerin nach und ließ sich diesbezüglich nie wieder blicken.

Als meine Mutter nach der vereinbarten Zeit wieder nach Hause fuhr und ich alleine zurechtkommen musste, kamen wieder so einige Schwierigkeiten zum Vorschein. Beim Putzen z.B. erging es mir so: Als ich in Wien im Internat Bodenaufwischdienst hatte, bekam ich jedesmal zu hören: "Du verschmierst den Dreck regelmäßig!" Ich konnte tun, was ich wollte, ich konnte mich noch so plagen, das Urteil meiner Erzieherin lautete immer gleich. Beim Putzen meiner eigenen Wohnung hatte ich nun also große Angst und handelte dadurch übervorsichtig, aber auch sehr zeitaufwändig. Zuerst saugte ich den Boden, denn das Zusammenkehren war mir viel zu unsicher. Dann wischte ich naß auf, und nachdem der Boden getrocknet war, saugte ich nocheinmal, um den Boden bis auf das letzte spürbare Bröserl sauber zu bekommen. Natürlich musste ich dabei auf Knien saugen, um den Boden mit den Fingern systematisch abzutasten, und das war ganz schön anstrengend. Erst nach einigen Monaten erfuhr ich, dass alle anderen lange nicht so genau putzten, und jetzt galt es Zeit und Kraft zu sparen und trotzdem auf Nummer sicher zu gehen, ordentlich geputzt zu haben. Es dauerte Jahre, bis ich genug Erfahrung und dadurch auch die nötige Sicherheit beim Putzen entwickelt hatte.

Meinen kleinen Emanuel genoss ich in vollen Zügen. Die Pflege fiel mir nicht besonders schwer. Für fast jedes Problem konnte ich eine Lösung finden. Nur die Zeit lief mir immer davon, und es wäre mir lieber gewesen, wenn der Tag doppelt so lang gedauert hätte. Regelmäßig ging ich zur Mütterberatung, denn die kleinen Fingernägelchen meines Schützlings wagte ich nicht selbst zu schneiden. Leider fiel mir die Mütterberaterin bald eigenartig auf, denn sie bedrängte mich jedesmal, dass ich schon dem fünf Monate alten Emanuel das Fläschchen geben und dafür ganze Stillmahlzeiten zwingend auslassen müßte. Weil ich nicht nachgab, sollte ich es eines Tages zu spüren bekommen. Ich war gerade dabei, mein Baby zu baden. Unmittelbar, nachdem ich es ins Wasser getaucht hatte, klingelte es mehrmals an der Wohnungstür. Da ich mich gezwungen sah, aufzumachen, wickelte ich Emanuel ins Handtuch ein, und draußen standen zwei Damen der Fürsorge. Ich ließ sie nur unter der Bedingung herein, dass sie mir zusehen müssten, bis ich mein Kind fertig gebadet und angezogen hätte. Während dessen könne man ja auch einiges besprechen. Ich wunderte mich, dass die beiden so schweigsam waren, und manchmal war nur ein "aaah" oder "oooh" zu hören. Als es mir zu dumm wurde, brach ich ihr Schweigen, und fragte sie nach dem Grund ihres Staunens. Sie erzählten mir, dass sie beauftragt worden waren, mich aufzusuchen, weil mein Kind angeblich total ungepflegt, unterernährt und dadurch lebensgefährdet sei. Dieser Auftrag kam von der Mütterberatung. Was sie aber hier sahen, war das genaue Gegenteil. Das Baby war wohlauf und hatte nicht einmal Rötungen durch die Windeln. Es gab nichts auszusetzen. Auch der Haushalt war in Ordnung. Ich erzählte ihnen vom Zwiespalt mit meiner Mütterberaterin, und sie waren entsetzt. Doch eine Frage stellten sie mir. Wie würde ich mit dem Problem umgehen, wenn Emanuel zu laufen beginnt? Ich konnte es ihnen nicht erklären, denn Hellseher bin ich keiner, und diese Erfahrungen musste ich erst machen.

Aber ich sagte: "Die Fürsorge ist eine gute Einrichtung. Sie hilft Eltern und Kindern, wenn es unlösbare Probleme gibt. Natürlich werde ich alles versuchen, um alleine zurechtzukommen, aber bevor es gefährlich wird, werde ich mich im Vertrauen an Sie wenden." Ich notierte mir ihre Namen und die Telefonnummer, und sie waren begeistert.

Als es nun soweit war, dass Emanuel zu laufen begann, waren mir einige gute Ideen sehr hilfreich. Ich kaufte einen Gurt, mit dem man Kleinkinder im Sitzwagerl anhängen konnte, und machte einen Lederriemen daran. So war Emanuel durch den Brustgurt auch gegen das Hinfallen geschützt, und das zweite Ende des Riemens hatte ich um meinen Arm gewickelt, damit ich ihn gesichert hatte, falls er sich losreißt. Da ich ihn außerhalb der Wohnung nie loslassen durfte, weil ich ihn sonst nicht wieder erwischen würde, war es gut für uns, dass wir wenigstens die Wahl zwischen der Geborgenheit des Handgebens und der Freiheit durch den Riemen hatten. Zusätzlich hatte ich ihm an allen Patschen und Schuhen kleine Glöckchen befestigt, damit ich hören konnte, wo er hinlief. Das war auch in der Wohnung sehr praktisch. Am Spielplatz musste ich bei jeder Rutschpartie mitrutschen und auch sonst alles mitmachen. Diese Zeit war sehr anstrengend, aber doch möglich. Dabei kam mir alles, was ich in meiner Kindheit gelernt hatte, sehr zugute. Ungefähr mit zweieinhalb Jahren war er dann soweit, dass ich anfangen konnte, ihn außerhalb unserer Wohnung alleine laufen zu lassen. Am Anfang war ich zwar sehr unsicher, aber es entwickelte sich bald eine vertrauensvolle Beziehung und daraus ergab sich eine Sicherheit, wie weit ich mich auf ihn verlassen konnte.

Als Emanuel dreieinhalb Jahre alt war, brachte ich Michaela zur Welt. Ich lernte eine freischaffende Hebamme kennen und hatte die Möglichkeit, mein zweites Kind zu Hause zu entbinden. Das war viel schöner als im Spital. Die Babyzeit mit Michaela konnte ich in vollen Zügen genießen, weil ich in allem schon geübt war und dadurch nicht mehr unter so großen Zeitdruck kam.

Als Emanuel in die Schule kam, fand ich für das erste halbe Jahr eine private Aufgabenhilfe. Dann war er selbständig genug, um mir alles nötige vorzulesen, sodass ich mit ihm die Aufgaben machen konnte. Wenn er schrieb, sprach er immer mit, und so konnte ich Fehler meist heraushören. Zusätzlich fragte ich ihn oft, wie er was geschrieben hatte. Bevor er in die dritte Klasse kam, übersiedelten wir nach Graz. Dort erkundigte ich mich im Schülerhort, ob ich beim Kontrollieren der Aufgaben unterstützt werden könnte, doch er wurde ganz im Hort aufgenommen. Später war ich froh darüber, denn durch den vermehrten Lernstoff wäre es zu mühsam geworden, die gesamten Aufgaben durchzubesprechen. Michaela ging vom Anfang an in den Schülerhort.

Jetzt geht es uns allen recht gut, und die Kinder stehen mir auch oft hilfreich zur Seite.

Ich wohne mit meinen beiden Kindern selbständig in einer Mietwohnung in Graz, bin Alleinerzieherin und von Geburt an vollblind. Mein Leben ist nicht immer leicht, und trotzdem bin ich glücklich und zufrieden. Auf Hilfe bin ich allerdings in gewissen Bereichen angewiesen.

So kann es mir beim Lesen der Post zum Beispiel passieren, dass mein Computer hartnäckig bei seiner Meinung bleibt: "Leerseite!" Ich habe einen uralten 386er Computer, an den eine Braillezeile, eine Sprachausgabe, ein Scanner und ein Schwarzschriftdrucker angeschlossen sind. Die Braillezeile ermöglicht es mir, den Text, der am Bildschirm erscheint, zeilenweise in Blindenschrift zu lesen. Die Sprachausgabe liest mir mittels Computerstimme alles vor, was am Bildschirm steht. Mit dem Scanner kann ich (dafür geeignete) Texte einscannen, damit ich alltägliche Postsendungen oder Bücher mit Hilfe des Computers lesen kann. Leider kann der Scanner nur gut gedruckte Schrift lesen, wobei der Kontrast nicht zu schwach sein darf; so lässt er z.B. grüne Schrift auf blauem Hintergrund oder eingerahmte Texte aus. Handschrift liest er gar nicht, mit Texten, die in Spalten geschrieben sind, gibt es ebenso Probleme, und manche Druckarten "verstümmelt" er so, dass der Inhalt nicht wiedererkennbar ist. Mit dem Schwarzschriftdrucker kann ich Briefe schreiben, Kuverts beschriften oder Nachrichten für die Schule schreiben und den Zettel dann ins Elternheft kleben.

Beim Lesen der restlichen Post, die der Scanner nicht erfasst, oder beim Ausfüllen von Formularen bin ich auf Hilfe angewiesen. Bei manchen Formularen ist es mir allerdings schon gelungen, sie einzuscannen, am Computer auszufüllen und dann auszudrucken. Meine Kinder sind mir bei der Post zwar behilflich, aber bei komplizierterer Amtspost, die mehrere Seiten umfasst (z.B. Wohnbeihilfenverlängerung oder Mietzinsaufstellung), lesen sie sich an verschiedensten Paragrafen müde, finden aber nicht das Wichtige heraus, und geben schließlich auf. Bei Bauspar-, Telecom- oder Stromrechnungen usw. liegt häufig fast unscheinbare Werbung bei, dass ich gelegentlich Probleme habe, das Wesentliche herauszufinden. Aus diesem Grund sind ab und zu wichtige Dinge im Papiermüll gelandet. Als ich meine Post zum Vorlesen brachte, hieß es: "Bloß Werbung, in den Müll damit!"

Ab und zu besteht aber auch die Notwendigkeit, sich gegen zu viel Geschriebenes zu wehren. Will mir jemand eine wissenswerte Broschüre in die Hand drücken, die mehr als zwei Seiten umfasst, lehne ich ab, es sei denn, er liest sie mir persönlich vor. So praktiziere ich es auch in Schulen, auf Ämtern und im Verkaufsbereich. Es gibt aber auch viel zu bewältigen, wobei mir die Kinder nicht helfen können, weil sie in der Schule sind. Das Einkaufen, Kochen und auch verschiedene Amtswege erledige ich alleine, ebenfalls Putzen, Wäsche waschen und Bügeln. Zu kleineren Arbeiten, z.B. Müll entsorgen oder Saugen, ziehe ich die Mithilfe der Kinder heran. Es gibt zwei Gründe, warum ich meine Kinder in relativ wenig Arbeiten einbeziehe: Erstens, weil ich es schwer kontrollieren kann, ob die Arbeit ordnungsgemäß erledigt wird, und zweitens, weil ich einen blinden Bekannten habe, von dem ich den Eindruck hatte, dass er seine Kinder als "Putzfetzen" benutzt hat. Das tat mir immer sehr weh. Dann kam noch dazu, dass immer wieder Leute auf der Straße sagten: "Warten Sie nur, sobald die Kinder ein bisschen größer sind, werden sie eine große Hilfe für Sie sein!" Das hat mich jedes Mal bedrückt, denn ich habe meine Kinder sehr lieb, und möchte sie nie und nimmer durch meine Behinderung belasten. Im Gegenteil, ich möchte für sie alles in meiner macht Stehende tun, um ihnen ein schönes Leben zu gönnen.

Wie geht es mir alleine unterwegs?

Außerhalb meiner vier vertrauten Wände, die ich bis in jeden Winkel kenne, ist es nicht immer ganz einfach und bequem für mich: Um in Schwierigkeiten, die "draußen" hin und wieder auftreten, zurechtzukommen, hilft mir das Vertrauen zu unserem Vater im Himmel. Diesen Glauben bekam ich schon von meiner Mutter in die Wiege gelegt. Dass es mir heute überhaupt möglich ist, mich alleine in fremder Umgebung zurechtzufinden, habe ich meiner hoch geschätzten Mobilitätslehrerin, Frau Professor Wiesenhofer, zu verdanken. In der Blindenschule in Wien wurde dieses Mobilitätstraining angeboten, wo wir lernten, den Blindenstock richtig einzusetzen, fremde Wege zu erarbeiten, sich richtig durchzufragen, z.B. Erfragung aller Straßennamen einer betreffenden Kreuzung, vielleicht auch die gesuchte Hausnummer, oder auf welcher Seite sich eine Straße befinden muss, um zu meinem Ziel zu kommen. Wir lernten auch Ideen zu entwickeln, wie wir bestimmte Ziele finden können, die mitten in einer langen Häuserschlange ganz unscheinbar liegen. Da gibt es z.B. Bodenunterschiede (abgeflachter Gehsteig), auffallende Hausfassaden oder die Möglichkeit des Zählens der besonders tiefen Hauseingänge oder Passagen, Verengung oder Verbreiterung des Gehsteigs, Stangen von Ampeln oder Verkehrszeichen, verschiedene Zäune, Beachtung von Wiesen, Parkplätzen oder Häuserfronten, oder auch Papierkörbe oder Haltestellenbänke, die alle ein hilfreiches Zeichen sein können. Sollte jedoch umgebaut werden, kann sich das alles wieder ändern. Um weiter entfernte Ziele zu finden, ist es gut, die Anzahl der zu überquerenden Straßen und ihre Namen zu kennen. Es ist überhaupt ratsam, die Gegenden, in denen man öfter zu tun hat, einigermaßen gut zu kennen, denn sollte man die Orientierung aus irgendeinem Grund verlieren, braucht man nur nach dem Straßennamen zu fragen, um wieder ganz genau zu wissen, wo man sich befindet.

Meinem schwachen Kreislauf habe ich zu verdanken, dass es mir nicht selten passiert, dass meine Konzentrationsfähigkeit zu wünschen übrig lässt. Dann renne ich ständig in Stangen, Menschen oder Hausecken hinein, ab und zu verliere ich überhaupt die Orientierung und beim Überqueren der Straßen bin ich dann besonders ängstlich. In seltenen Fällen ist es mir schon passiert, dass mir schwindlig war, ich folglich bei der Überquerung einer Kreuzung schief ankam und mitten auf der Straße landete. Dann war ich total verstört, verschreckt und verwirrt, weil ich mein ersehntes Ziel, den schützenden Gehsteig, nicht erreichen konnte, und weil mir bewusst war, dass ich inmitten des fahrenden Verkehrs umherirrte. Diese starken Kreislaufstörungen traten immer dann auf, wenn ich übermüdet oder im Stress war, manchmal bei bestimmten Wetterbedingungen oder nach Schlafstörungen. In solchen Fällen ist natürlich an das Erarbeiten eines Weges nicht zu denken. Da bin ich nur froh, wenn ich wieder lebendig nach Hause komme.

Jetzt aber wieder zu einem ermutigenderen Thema. Ich habe auch oft Erfolgserlebnisse. Wenn es darum geht, zu erfahren, ob eine Ampel grün oder rot zeigt, gibt es verschiedene Schwierigkeitsgrade. Die akustischen Ampeln in meiner Umgebung sind eine riesengroße Hilfe im Alltag. Dadurch bin ich viel schneller und sicherer. Bei einfachen Kreuzungen mit optischen Ampeln, wo sich nur zwei Straßen kreuzen, kann ich am fließenden Verkehr sehr deutlich hören, wann es grün wird. Wenn die Autos der Längsstraße losfahren und die Autos der Querstraße, die ich überqueren will, stehenbleiben, und ich den laufenden Motor des sicher stehenden Autos hören kann, gibt es überhaupt keine Frage mehr für mich, was die Ampel zeigt. Schwierig ist es, wenn das Verkehrsaufkommen sehr gering ist und ich mich nicht an stehenden bzw. fahrenden Fahrzeugen orientieren kann.

Ähnlich verhält es sich bei Fußgängerampeln, die ich drücke: Ich habe schon erlebt, dass diese manchmal sehr schnell grün werden, ein anderes Mal dauert es ganz schön lange. Da ist fließender Verkehr auch sehr hilfreich. Am schwierigsten sind für mich Kreuzungen, die sternförmig mehrere Straßen umfassen. Wenn ich bis zu einer Viertelstunde an der Kreuzung stehe, um den Verkehr über mehrere Ampelphasen hinweg zu beobachten, würde es mir wahrscheinlich in den meisten Fällen gelingen, meine Grünphase herauszufinden. Dazu ist es aber bis jetzt noch nie gekommen, denn mir wurde immer über die Straße geholfen. Beim Überqueren von Straßen bekomme ich am ehesten Hilfe angeboten.

Es kommt aber auch vor, dass Niemand in der Nähe ist, wenn ich dringend Hilfe brauche. Wenn ich auf der Straße versuche, um Hilfe zu bitten, passiert es mir leider oft, dass viele Leute an mir vorbeigehen und nicht reagieren. Ich bin sehr froh, wenn mich einfach jemand fragt, ob ich etwas brauche. Hilfe wird aber manchmal auch falsch geleistet. Wenn mich jemand am Ellenbogen nimmt, diesen hochzieht, um mich zu halten, damit ich ja nicht falle, stehe ich meistens schon auf den Zehenspitzen, und dann wird es unangenehm. Ich versuche mich dann aus dieser Lage zu befreien und erkläre, dass es für mich sehr von Vorteil ist, wenn mein Führer vorausgeht, ich halte mich dann an seinem Ellenbogen fest und kann somit spüren, in welche Richtung er mich führt, ob der Weg bergauf oder -ab führt, ob eine Stufe kommt und wie hoch sie ist. Manchmal lehne ich auch Hilfsangebote ab. Es kann sein, dass ich auf der Suche nach einem Zeichen bin (z.B. Papierkorb oder Stange), welches mir auf dem Weg zu meinem Ziel dienlich ist. Leute, die es selber sehr eilig haben und trotzdem helfen wollen, machen oft den Fehler, dass sie nicht fragen, wo ich überhaupt hin will, und zerren mich dann über eine falsche Kreuzung.

Das Fahren mit der Straßenbahn ist für mich eine große Herausforderung. Die Haltestelle nächst meiner Wohnung ist durch eine Fahrbahn von den Schienen getrennt. Das bedeutet, dass man sie viel schwerer hört, weil vor mir die Autos rasen, und wenn ich einsteigen möchte, muss ich mir erst einen Durchgang zwischen den Autos suchen. Meistens habe ich große Angst, auf die Straße hinunterzusteigen, weil ich mir nicht sicher bin, ob die Straßenbahn, die ich beim Anhalten höre, aus meiner Richtung oder von der Gegenrichtung kommt. Einer meiner Bekannten, ebenfalls blind, betrat aus der Sicht aller anderen Unwissenden ohne Grund die stark befahrene Straße, weil er die "falsche" Straßenbahn hörte, wurde angefahren und landete im Spital. Manchmal erlebe ich Straßenbahnfahrer als brutal und rücksichtslos, es gibt aber auch immer wieder ganz tolle und zuvorkommende, von denen manche durch die Außensprechanlage die Nummer der Linie durchsagen. Dann weiß ich, dass ich auf die Straße steigen darf, dass mich der Fahrer sieht und auf mich wartet - und ob das die Linie ist, die ich brauche. Andere Fahrer steigen sogar aus und holen mich vom Gehsteig ab. Dann fühle ich mich wie im Himmel und wünsche, es möge immer so sein. Seit es die spürbare Bodenmarkierung bei den Haltestellen gibt, stehe ich genau bei der Einsteigtür und die Fahrer sprechen mich öfter an. Mir kommt vor, die Hilfsbereitschaft der Fahrer nimmt immer zu. Es ist mir aber auch schon passiert, dass ich den Türknopf einer Straßenbahn gesucht habe, und weil ein Auto hinter mir stand, war ich sehr nahe an der Straßenbahn. Während ich noch suchte, fuhr sie plötzlich ohne Vorwarnung weg und rammte meine Schulter, sodass diese ganz schön schmerzte. Da ich die Nummer der Linie und die genaue Uhrzeit wusste, rief ich bei der GVB an. Ich beschwerte mich nicht, sondern fragte nur, wie ich mich in so einem Fall schuuml;tzen könne. Zur Antwort bekam ich, dass es zu mühsam sei, den betreffenden Fahrer herauszusuchen, dass er eigentlich schauen hätte müssen, und dass man da nichts machen könne.

Bei Doppelhaltestellen habe ich mir abgewöhnt, auf dem genoppten Einstiegsfeld ganz vorne zu warten. Mindestens 90 Prozent der Straßenbahnen, die hinten schon standen, fahren trotz Winkens erbarmungslos durch. Jetzt suche ich immer ungefähr die Mitte, wo ich keinen Anhaltspunkt habe, um so gut wie möglich bei der vorderen Straßenbahn hinten bzw. bei der hinteren vorne einzusteigen.

Bei den GVB-Bussen erlebe ich genau das Gegenteil. Die meisten Fahrer sind nett und hilfsbereit und nur wenige rücksichtslos. Bei den Bussen gibt es jedoch andere Probleme. Wenn ich bei der Haltestellentafel warte, muss ich dem einfahrenden Bus oft bis zu zehn Meter nachlaufen, bis ich den Hintereingang erreiche. Dann weiß ich noch gar nicht, ob es die richtige Linie ist. Ein anderes Mal bleibt er wieder direkt vor der Tafel stehen. Auf die Frage nach dem Warum bekam ich die Antwort, dass der genaue Halteplatz von parkenden Autos abhänge. Das hilft mir aber nicht weiter. Auf stark frequentierten Straßen muss ich mich immer sehr konzentrieren, wenn ich auf Busse warte, weil sie sehr leise sind. Da tauchen oft Unsicherheit und die Problematik mit dem Bus aus der Gegenrichtung auf.

Theresia Hafner

Aus "Odilien-Institut im Blickpunkt" Folgen 41/September 1999, 43/März 2000, 44/Juni 2000 und 45/September 2000.

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Erstellt am So, 15.10.00, 08:01:19 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/alltag/berichte/theresia.shtml

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