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Jamie
Aus dem Tagebuch eines angehenden Blindenhundes

Nun sitze ich hier schon geschlagene 5 Minuten und bekomme bald Genickstarre. Ob mir heute noch mal jemand den Hundekeks aus dem Adventskalender, der da oben hängt, herausholt? "Aber Jamie, du hast es doch schon heute morgen fürs Zeitung reinholen bekommen." Oh, die Wildtrüffelkugel von heute morgen hatte ich schon ganz vergessen. Aber trotzdem habe ich irgendwie noch Appetit. Dafür muß ich mal einen Griff in meine Trickkiste tun. Ich lege mich artig in mein Hundebett in der Küche und tue so, als ob ich kein Wässerchen trüben kann. Sobald die Menschen in Richtung Wohnzimmer verschwunden sind, schicke ich Kater Macak auf den Tisch und den Schrank, um nach Leckereien zu suchen, diese an die Tischkante zu zerren und auf den Boden zu werfen. So haben wir gestern ganz genüsslich Birgits Kokosmakronen gegessen, d.h. Macak mochte sie nicht sehr, aber ich schon. Heute ist da nichts zu holen. "Sieh mal im Mistkübel nach. Manchmal gibt's da Papier, wo noch Reste der damit ursprünglich eingewickelten Schokoladenkekse dran sind." empfiehlt Macak. Ich weiß nicht, warum dieser Mistkübel nicht einfach nur aus dem Kübel bestehen kann. Nein, er muß noch dieses ständig störende Teil mit der Öffnung drin oben auf haben. Na egal, es gelingt mir, meinen nun schon ansehnlichen Labradorkopf durch diese Öffnung zu zwängen. Mmh, da gibt's tatsächlich eine Folie, womit Koteletts eingewickelt waren. Das ist noch viel leckerer als Schokoladenkekse. Ich schnappe mir das gut riechende Utensil und trete rückwärts, um meinen Kopf wieder rauszuziehen. Knall-peng-knatterradautz. Der Mistkübel fliegt durch die halbe Küche, das obere Teil hängt an meinem Hals, der Kopf steckt immer noch in der Öffnung. Scheiße, wie werd ich das Ding wieder los?! Ich schüttel den Kopf, den ganzen Körper - nichts. Mir bleibt nichts anderes übrig, ich muß Schandtat und Niederlage eingestehen und tappe mit verzweifeltem Dackelblick ins Wohnzimmer. Birgit und Simone sehen mich einige Sekunden verdutzt an, dann hört man nur noch ein lautes Grölen. Danke - wenn ich etwas hasse, dann ist es, ausgelacht zu werden. Marusa, von ihrem Schönheitsschlaf auf der Couch hochgeschreckt, betrachtet schlaftrunken das Geschehen. "Oh, der Herr Nimmersatt war auf Expedition!" lästert sie. Aber bevor ich etwas erwidern kann, nimmt Simone mir das Teil ab und knuddelt mich. Sie verzeiht mir jegliche Unartigkeiten immer sehr schnell, nicht nur weil jetzt Vorweihnachtszeit ist.

Diese bekommen auch Marusa und ich zu spüren, z.B. müssen wir unsere Menschen auf die Weihnachtsmärkte zum Punsch-trinken begleiten. So fuhren wir neulich mit der U-Bahn zum Christkindlmarkt am Wiener Rathaus. Ich staunte nicht schlecht, wie viele Menschen so auf engsten Raum passen. Schon in der U-Bahn war mir dies suspekt. Zuerst muß man über einen ca. 10 cm langen Spalt zwischen Bahnsteig und Bahn springen und anschließend läuft man Gefahr von Leuten auf Schwanz oder Pfoten getreten zu werden. Aber ich überstand es. Auf dem Christkindlmarkt gefiel es uns Hunden dann doch ganz gut, weil viele Reste leckerer Sachen am Boden lagen und unsere Menschen mit den "Aus"- Rufen nicht mehr hinterherkamen. Auch in Mödling machten wir vor zwei Tagen während der Abend-Gassi-Runde vor dem Punschstand halt. Während die Menschen genossen, legte ich mich, wie ein artiger Hund es tut, darnieder. Nur als ein anderer Hund des Weges kam sprang ich auf und vorwärts, Simone ruckartig hinter mir herzerrend, um diesen freudig zu begrüßen. Dann legte ich mich wieder hin, und weil es mich langweilte, versuchte ich durch die Streben eines Gitters in einen Abflusskanal zu schauen. Ich nahm eine ordentliche Nase voll leckeren Geruches von dort unten und legte Kopf und Hals dabei langgestreckt auf's Gitter. "Oh, das Kind hat eine leckere Brezel in der Hand, vielleicht gibt es mir was ab!" tönte Marusa und setzte sich mit bettelndem Blick vor einen ca. 3-jährigen Hundefan. Ich wollte natürlich dem nicht nachstehen und versuchte aufzustehen. Aber ich bekam meinen Kopf und Hals nicht hoch! Die Steuermarke an meinem Halsband hatte sich in den Streben des Gitters verhakt und ich bekam sie nicht heraus. Simone musste mich wieder mal befreien und Marusa grinste "Na, Ungeschick lässt grüßen." Ha, ha, die hat gut lachen, ihre Marke ist viel kleiner als meine. Hoffentlich passiert ihr auch bald mal was. Darauf zu warten kann ich euch aber in diesem Jahr nicht mehr zumuten.

Ich werde mich jetzt von den Strapazen erholen und wünsche euch ein wunderbares Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.

Euer Jamie

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© 2003 by Simone
Erstellt am Do, 26.12.03, 09:51:19 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/hund/jamie5.shtml

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