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Als Sehbehinderter fotografieren?

Das Bild

Der Verfasser mit Plakette und Kamera Auf dem Bild trage ich sowohl die gelbe Plakette mit den drei schwarzen Punkten als auch eine Kamera. Ein Unding werden manche sagen; steht doch einerseits die gelbe Plakette - ebenso wie der weiße Stock - für Blindheit schlechthin und andererseits die Kamera für ein scharfes Auge, dem nichts entgeht!

Aber genauso wie es in der Fotografie zwischen Schwarz und Weiß eine schier unendlich breite Palette von Farben und Grautönen gibt, liegt zwischen Blindheit und normalem Sehen das weite Feld der Sehbehinderung - reichlich bestellt von allerlei Mißbildungen, Krankheiten, Unfällen und Alter. Sie alle können zum Beispiel Sehschärfe und Bildgeometrie, das Farbsehvermögen, die Anpassungsfähigkeit der Augen an verschiedene Lichtverhältnisse und Sehentfernungen, das Gesichtsfeld und vieles andere - bis hin zur Blindheit - beeinträchtigen. In der Regel sind mehrere dieser Faktoren gleichzeitig und in unterschiedlichem Ausmaß betroffen.

Sicher leuchtet jedem ein, daß weder die Sehschärfe etwas mit dem Gesichtsfeld noch Fehler der Bildgeometrie etwas mit dem Farbsehvermögen zu tun haben, daß also die verschiedenen Komponenten des Sehens nicht in einem direkten und festen Zusammenhang miteinander stehen, selbst wenn ihre Beeinträchtigung auf die gleiche Ursache zurückgeht. So kann ein Glaukom mit der Zeit ebenso zu einer Einschränkung des Gesichtsfeldes wie zu einer Verminderung der Sehschärfe führen. Andererseits können auch verschiedene Ursachen eine ähnliche Wirkung hervorrufen. So wird die Sehschärfe sowohl durch Grauen Star als auch durch Makuladegeneration oder Trübungen der Hornhaut vermindert.

Zusätzliche Leiden können die Sehleistung noch weiter verschlechtern. So führt beispielsweise ein Nystagmus (unwillkürliches, meist schnelles Augenzittern, das häufig beim Anpeilen eines Objekts auftritt) dazu, daß die Augen nicht lange genug auf einem Gegenstand verweilen können, um ihn genau zu erkennen.

Bei der Beurteilung der Sehleistung Sehbehinderter muß man aber noch weitere Faktoren berücksichtigen, etwa die Fähigkeit, das Gesehene zu interpretieren. So kann ein Sehbehinderter ein bekanntes Objekt - etwa ein Firmenlogo oder einen bekannten Reklameschriftzug - durchaus bereits an den Umrissen und der Farbgebung erkennen, ohne Einzelheiten wahrnehmen zu müssen. Sehende denken hier oft fälschlicherweise, der Sehbehinderte sähe doch mehr, als er vorgibt. Dafür wird der gleiche Sehbehinderte unter Umständen unbekannte, aber besser erkennbare Gegenstände bzw. Schriftzüge, wahrscheinlich falsch deuten. Auch die Wahrnehmungsgeschwindigkeit spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle, gerade im Straßenverkehr. Hier müssen - ähnlich wie bei den Blinden - die anderen Sinne mit einspringen, um den sehbehinderungsbedingten Mangel an Informationen auszugleichen oder wenigstens zu verringern.

Die Vielfalt möglicher Beeinträchtigungen des Sehvermögens, ihre nahezu beliebige Kombinierbarkeit, die verschiedensten Grade der Beeinträchtigung sowie viele weitere Faktoren, führen dazu, daß selbst andere Sehbehinderte, Angehörige, Rehabilitationslehrer, Mobilitätstrainer und Augenärzte nicht mit letzter Gewißheit sagen können, was ein Sehbehinderter wirklich (noch) sieht. Was auf den ersten Blick unmöglich scheint, ist also durchaus möglich. Man muß sich aber davor hüten, von einer Person auf eine andere zu schließen, denn jeder Sehbehinderte ist ein Fall für sich.

Weißer Stock & Co.

Nach § 3 der österreichischen Straßenverkehrsordnung gilt im Straßenverkehr der Grundsatz, daß jeder Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen darf, daß sich die Anderen entsprechend der Straßenverkehrsordnung verhalten werden. Bestimmte Personengruppen müssen aber von diesem Vertrauensgrundsatz ausgenommen werden, weil sie ihn aus verschiedensten Gründen nicht einhalten können. Dazu gehören neben Kleinkindern und vielen alten Menschen auch Sinnesbehinderte, besonders Blinde und stark Sehbehinderte. Bei den beiden letztgenannten Gruppen ist die Sache die, daß sie aufgrund ihrer Behinderung das Verkehrsgeschehen nur unvollständig, zum Teil auch fehlerhaft oder zu langsam wahrnehmen, so daß sie die Verkehrslage gelegentlich falsch einschätzen. Auch neigen manche Sehbehinderte dazu, ihre Sehbehinderung herunterzuspielen, um als "normale Menschen" zu gelten, oder sie überschätzen ihre Sehfähigkeit. Und dann kann es zu Unfällen kommen.

Kleinkinder und alte Menschen sind auf den ersten Blick als solche zu erkennen, nicht jedoch Blinde oder Sehbehinderte, es sei denn, sie machen sich durch ein Verkehrsschutzzeichen kenntlich. Damit geben sie anderen Verkehrsteilnehmern die Chance, eventuelle Gefahren abzuwenden. Neben dem weißen Stock, der Blinden vor allem auch als Orientierungshilfe dient, sind in Österreich und Deutschland als Verkehrsschutzzeichen auch die gelbe Armschleife sowie gelbe und blaue Ansteckplaketten mit drei schwarzen Punkten oder dem Euromännchen üblich.

Gelbe Armschleife mit 3 schwarzen Punkten

Traditionelle gelbe Armschleife mit 3 schwarzen Punkten. Sie wird mit Gummizug, manchmal auch mit einer Sicherheitsnadel am Ärmel befestigt.

Gelbe Armschleife mit Euromännchen

Moderne Armschleife mit Euromännchen. Sie reflektiert einfallendes Licht sehr hell, ähnlich wie ein Katzenauge am Fahrrad, sie wird aber mit einem Klettband anstelle des Gummibandes befestigt.

Warum ich trotz Sehbehinderung
fotografieren kann

Im Straßenverkehr kommt es auf ein möglichst schnelles und vollständiges Erfassen der Verkehrssituation an. Ich muß in kürzester Zeit die Entfernung und die Geschwindigkeit der Fahrzeuge sowie deren Bewegungsrichtung erkennen und danach einschätzen können, ob ich z. B. eine Straße gefahrlos überqueren kann oder nicht. Wenn möglich, nutze ich ohnehin sichere Übergänge.

Beim Fotografieren spielt das alles kaum eine Rolle. Wenn es sich nicht gerade um einen Schnappschuß handelt, dann laufen mir die zu fotografierenden Objekte ja nicht einfach davon; ich habe also Zeit. Das gibt mir auch Gelegenheit, Hilfsmittel einzusetzen, wie optische und elektronische Einstellhilfen und Meßgeräte innerhalb und außerhalb der Kamera. Da wären z. B. Mikroprismenraster und Einstellkeile, aber auch das Einstellfernrohr, der Winkelsucher oder ein Belichtungsmesser mit großer Anzeige zu nennen, aber auch Autofokus und Belichtungsmessung sowie automatische Blenden- und Verschlußsteuerung in der Kamera, soweit vorhanden.

Mag sein, daß ich im Augenblick des Fotografierens nicht jedes Bilddetail erkennen kann - so habe ich einmal auf einer Blüte eine Biene glatt übersehen - aber daraus entstehen für mich keine Gefahren wie im Straßenverkehr; schlimmstenfalls ein Bild, das ich so nicht gewollt habe.

Man muß also das eingangs Gesagte korrigieren: Die Plakette steht für verminderte Verkehrstüchtigkeit, die Kamera dagegen hat ihre eigene "Sehschärfe", bei der das Sehvermögen meiner Augen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Was sich auf den Bildern findet, ist aber durchaus meine Sicht der Dinge - nur eben ohne Sehbehinderung und damit gestochen scharf.

Hilfsmittel für sehbehinderte Fotografen

Spezielle Hilfsmittel für Sehbehinderte gibt es nicht, dafür aber eine ganze Menge sinnvolles Zubehör, das diese Funktion übernehmen kann. Die Tätigkeiten, welche Hilfsmittel erfordern, sind bei allen Kameratypen die gleichen: Belichtung messen, die Kamera (und vielleicht den Blitz) einstellen, das Objekt im Sucher finden, den Bildausschnitt festlegen, eventuell zoomen und schließlich scharfstellen. Ein Sehbehinderter muß aber wenigstens noch in der Lage sein, sein Motiv im Sucher der Kamera zu erkennen, den Rest können moderne Geräte meist automatisch erledigen, egal ob mit Fotofilm oder digital fotografiert wird. Für den Erfolg ist bereits die Auswahl der geeigneten Kamera entscheidend, denn es nützt nichts, wenn man eine gute Kamera besitzt, die man nicht bedienen kann, weil Bedienelemente, Anzeigen, Symbole oder Beschriftungen zu klein sind. Lassen Sie sich also gut beraten und probieren Sie verschiedene Modelle aus, auch bei schlechter Beleuchtung.

Sucher

Die Durchsichtsucher einfacher Kameras bieten ein verkleinertes Bild, das bei starker Sehbehinderung so schlecht erkennbar sein kann, daß das Fotografieren nicht mehr möglich ist. Vergrößerndes Zubehör für diese Sucher gibt es nicht. Digitalkameras bieten aber einen kleinen Bildschirm, der sich auch als Sucher nutzen läßt. Hier kann man seine Lesebrille oder eine Lupe benutzen und sieht genau das Bild, das man fotografieren wird. Der Kontrastumfang des Bildschirms ist aber wesentlich kleiner als der des Durchsichtsuchers.

Bei Spiegelreflexkameras wird das vom Objektiv kommende Licht mit einem Spiegel auf eine Fresnellinse geleitet, auf der ein Bild entsteht, das dann vom Dachkantprisma aufgerichtet und in das Okular des Suchers umgelenkt wird. Die Bildgröße hängt von der Brennweite des verwendeten Objektivs ab. Weitwinkelobjektive (kurze Brennweite) erzeugen ein verkleinertes Bild, Teleobjektive (lange Brennweiten) dagegen ein vergrößertes. Bei Normalobjektiven (Brennweite bei Kleinbild um 50 mm, bei Digitalkameras ist die Brennweite von der Größe des Sensors abhängig) lassen das Objekt im Sucher etwa so groß erscheinen, als sähe man sie mit dem bloßen Auge. Der Fotograf sieht immer das, was er fotografieren wird. Während der Aufnahme wird der Spiegel einfach nach oben geklappt und gibt dem Licht den Weg zum Kameraverschluß und damit zum Film oder dem Bildsensor frei. Das Sucherbild ist dunkler als im Durchsichtsucher, weil einerseits Licht in den optischen Teilen verlorengeht und andererseits ein Teil des Lichts zur Belichtungsmessung am Prisma abgezweigt wird. Das kann bei dunklen Motiven und schlechter Beleuchtung problematisch werden, falls manuell scharfgestellt werden muß. Hier ist der Autofokus (automatisches Scharfstellen) moderner Kameras ein wahrer Segen! Ältere Kameras und solche für Profis besitzen in der Fresnellinse sehr oft ein Mikroprismenrasterfeld und mitunter auch Einstellkeile, mit deren Hilfe sich die Scharfstellung sehr genau kontrollieren läßt. Diese Einstellhilfen fehlen leider oft bei modernen Kameras, da die Hersteller hier auf den Autofokus setzen.

Vergrößernde Einstellhilfen

Hier möchte ich einige Einstellhilfen vorstellen. Sie unterscheiden sich äußerlich von Hersteller zu Hersteller, ihre Funktionsweise ist jedoch trotzdem fast identisch.

Augenmuschel

Augenmuschel mit Brillenglas Augenmuschel am Okular einer PRAKTICA

Die Augenmuschel erfüllt zwei Funktionen: Sie schirmt das Auge ab und erhöht so den Kontrast beim Blick durch den Sucher. Außerdem kann man sich bei vielen Modellen vom Optiker das Brillenglas der Fernbrille einsetzen lassen und dann ohne Brille fotografieren. Damit liegt das Auge ganz am Okular und man kann so das volle Sucherbild sehen. Sein eigenes Brillenglas braucht man, wenn die Dioptrieeinstellung der Kamera nicht ausreicht, z. B. bei starker Kurzsichtigkeit oder Grauem Star. Die Augenmuschel wird auf das Okular gesteckt.

Winkelsucher

Winkelsucher C von Canon Winkelsucher von PENTACON mit Brillenglas Winkelsucher an einer PRAKTICA

Winkelsucher werden meist in der Reproduktionsfotografie angewandt, aber häufig nur, um bequemer in den Sucher der Kamera schauen zu können. Das Modell von Canon (Bild links) läßt sich sogar zwischen 1,5facher und 2,5facher Vergrößerung umschalten (Achtung, nur Modell C!). Beim Winkelsucher von PENTACON für die PRACTICA reicht die Dioptrieeinstellung nicht für meine Bedürfnisse aus - so ließ ich mir von einem Dreher eine Linsenfassung drehen und vom Optiker ein Glas dazu anfertigen (der silberne Ring hinter der Augenmuschel des Suchers, Bild in der Mitte). Das Bild rechts zeigt die eigentliche Anwendung von Winkelsuchern: Sie dienen dazu, "um die Ecke zu gucken". Übrigens: Das Okularzubehör der PRAKTICA und der Canon EOS-Modelle ist kompatibel!

Einstellfernrohr

Einstellfernrohr von PENTACON mit 2,5facher Vergrößerung Das Einstellfernrohr wird am Okular der Kamera angebracht Einstellfernrohr, zur Seite geschwenkt

Auch Einstellfernrohre werden meist in der Reproduktionsfotografie angewandt. Der Name "Fernrohr" ist etwas irreführend, aber physikalisch völlig korrekt. Einstellfernrohre vergrößern die Bildmitte wie eine Lupe, was ein exaktes Scharfstellen ermöglicht. Sie werden wie Augenmuscheln und Winkelsucher am Okular angesteckt (Bild in der Mitte). Um das ganze Sucherbild betrachten zu können, läßt sich das Fernrohr zur Seite schwenken, ohne es vom Okular der Kamera abnehmen zu müssen (Bild rechts).

Belichtungsmesser

Analoger (links) und digitaler (rechts) Belichtungsmesser

Mit Einführung der halbautomatischen und vollautomatischen Belichtungsmessung in der Kamera (TTL-Messung) haben Belichtungsmesser zwar an Bedeutung verloren, für bestimmte Aufgaben, wie z. B. Langzeitbelichtungen, sind sie aber immer noch unverzichtbar. Während das Ablesen beim analogen Gerät auf dem Bild über diesem Text praktisch unmöglich ist, kann man den digitalen Belichtungsmesser sicher auch als Sehbehinderter noch leicht ablesen. Selbst Sehende dürften an diesem Bild gut nachvollziehen können, vor welchen Problemen Sehbehinderte beim Ablesen analoger Meßgeräte stehen; die Parallaxe ist da noch das kleinste. Eine Lupe und eine kleine Taschenlampe sind beinahe ein Muß, auch beim Ablesen von Skalen und Anzeigen an Objektiven, Kameras und Blitzgeräten.

Falk Webel

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© 2006 by Falk Webel
Erstellt am Mo, 19.06.06, 20:45:16 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/alltag/berichte/fotografieren.shtml

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