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Der Lendplatz

Ende Februar berichtete die Kronen-Zeitung über den Lendplatz.

Wie Sie wissen, wird der Lendplatz zur Gänze umgebaut, die Fertigstellung ist für den Herbst 2000 geplant. Eine neue Straßenführung für den rollenden Verkehr ist geplant. Das bedeutet, dass neue Haltestellen für die Busse entstehen, aber auch, dass neue Überquerungsmöglichkeiten gebaut werden. Dank der Stadt Graz, insbesondere der Stadtbaudirektion und des Straßen- und Brückenbauamtes, wird dieser Platz sehr viele Erleichterungen für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer sowie für Sehbehinderte und Blinde, aber genauso für Radfahrer aufweisen: "Schwierige" bzw. lange Straßen-Überquerungen werden mit rillierten Aufmerksamkeitsfeldern und den bereits gewohnten akustischen Ampelgeräten ausgestattet. Für einige Strecken gibt es eine durchgehende Leitlinie aus Rillenplatten. Bei allen Bushaltestellen wird man die genoppten Einstiegfelder vorfinden. Seit Beginn der Planung vor mehreren Jahren wurde auf die Wünsche der Behindertenorganisationen eingegangen. Diese Tatsache verpflichtet uns hier in Graz zu großem Dank, denn sie ist keine Selbstverständlichkeit. Graz nimmt unter den österreichischen Städten in puncto Behindertenfreundlichkeit auf öffentlichen Straßen und Plätzen die Spitzenposition ein. Unzählige Betroffene aus ganz Österreich haben das in vielen Gesprächen und Begehungen bestätigt und für sich selbst gewünscht, diese Rücksichtnahme auf Behinderungen in ihren eigenen Gemeinden vorzufinden. Der südliche Teil des Lendplatzes, wo die Marktstände zu finden sind, ist bereits fertiggestellt. Hierher wurde von der Kronen Zeitung ein blinder Mann hingeführt, um seine Meinung über die Behindertenfreundlichkeit abzugeben. Dieser Bereicht ist allerdings sehr negativ ausgefallen, was wir sehr bedauern.

Erst wenn der gesamte Platz fertiggestellt worden ist, werden Begehungen mit Betroffenen stattfinden. Die Einladungen dazu werden durch uns und durch den Steiermärkischen Blindenverein erfolgen. Für eine Begehung eines derart großen Platzes muss man zuerst klärende Gespräche führen. Notwendig sind fixe Ankunfts- und Abfahrtsstellen: die Haltestellen der Busse werden erst gebaut. Äußerst hilfreich ist auch ein tastbares Modell des Platzes. Herr Architekt Müller hat ein solches Modell gebaut und dieses monatelang der Öffentlichkeit am Lendplatz vorgestellt. Wenn der Platz fertig ist, hoffen wir, dieses Modell übernehmen zu dürfen. Hier folgt mein "erklärender" Bericht an Herrn Redakteur Mocnik in der Kronen- Zeitung:

"Im Vergleich zu den meisten anderen österreichischen Städten verläuft die Arbeit bezüglich behindertengerechter Adaptierungen und Maßnahmen auf öffentlichen Plätzen und Straßen in der Stadt Graz ausgezeichnet. Schon vor Jahren haben sich die steirischen Organisationen für blinde und sehbehinderte Mitbürger zusammengeschlossen und halten jährliche "Verkehrssitzungen" ab. In den Sitzungen werden Reklamationen, Wünsche und Anliegen abgehandelt. Das Ergebnis der Sitzungen ergeht schriftlich an die Stadt Graz. Unsere Wünsche nach Adaptionen werden weitgehendst umgesetzt. Dabei schließen wir uns der Stadt Graz beim Bauen an; das heißt, wir warten, bis die Stadt Graz "sowieso" vorhat, umzubauen. Dann kosten unsere Maßnahmen "fast nichts" (im Vergleich zu einem Umbau "nur unseretwegen").

Inzwischen können wir sehr viele Maßnahmen für blinde und sehbehinderte Mitbürger vorweisen. Viele Betroffene aus ganz Österreich sind sogar nach Graz gekommen, um sie bewundernd anzuschauen und zu begehen. Der zweite Vorteil ist das gesteigerte Selbstbewusstsein der Grazer Betroffenen: Sie haben vermehrt das Gefühl, dass ihre Stadt an sie denkt und sie berücksichtigt und so fühlen sich die sehbehinderten und blinden Menschen immer mehr als "akzeptierte Mitbürger". Der Wunsch nach Selbstständigkeit der Betroffenen wird immer stärker, besonders bei den jungen Leuten.

Wenn sich eine sehgeschädigte Person selbstständig auf den Straßen und Plätzen bewegen will, kann sie aber nicht "einfach so" aus der Tür hinausgehen. Die Strecke, die man beabsichtigt zu gehen, muss vorher gelernt werden und ein "geistiger Plan" dieser muss im Kopf vorhanden sein. Man muss sich das so vorstellen, dass man entlang einer Linie geht, die nie unterbrochen wird. Diese Linie ist natürlich nur für den Betroffenen vorhanden und besteht aus den Rillen- T:s, Gehsteigkanten, Erhöhungen oder Senkungen der Kanten, Hausmauern, Bäumen, Zäunen usw., aber ebenso aus charakteristischen Gerüchen oder akustischen Wahrnehmungen. Für die Maßnahmen in Graz gibt es entsprechende ÖNORMen.

Bei den Begehungen neuer Strecken stehen die Orientierungs- und MobilitätstrainerInnen helfend zur Seite. Mit den Trainern bespricht man zuerst die gewünschte Strecke und sie suchen schließlich um Kostenübernahme bei der für die Person in Frage kommenden Versicherung bzw. Krankenkasse, Magistrat, Bezirkshauptmannschaft usw. an. Beim Begehen hilft der Trainer, auf spezielle Merkmale aufmerksam zu werden, die die sehgeschädigte Person sich einprägen muss, um hier selbstständig gehen zu können. Öfters handelt es sich um das Kennenlernen der eigenen Umgebung: das selbständige Auffinden von Haltestellen des ÖPNVs (öffentlichen Personen- Nahverkehrs), Apotheke, Post, Geschäfte, Arzt usw., aber auch um den "besten Weg" zum Arbeitsplatz.

Die spezielle Wissenschaft "Orientierungs- und Mobilitätstraining" ist erst knappe 15 Jahre alt. Die österreichischen Trainer wurden alle in der Schweiz oder Deutschland, oft auf eigene Kosten, ausgebildet. Da es ein "junges Gebiet" ist, haben viele ältere Betroffene kaum ein Training genossen. In allen österreichischen Spezialschulen ist es heute ein verpflichtendes Unterrichtsfach.

Der Trainer vermittelt auch die "beste Geh-Technik". Wenn ein Blinder selbstständig geht, muss er eine gute Körperschutztechnik verwenden. Er kann nie sicher sein, dass nicht Gegen-stände wie Zeitungs- oder Kleiderständer auf Gehsteigen oder Straßen plaziert wurden, dass keine neue Baustellen ohne genügende Absperrungen, keine parkenden Autos oder Fahrräder usw. plötzlich "auftauchen" und er in diese hineinläuft (auch wenn diese Gegenstände am Vortag nicht vorhanden waren).

Der Langstock hilft ihm dabei. Die Spitze des Stockes ist ihm immer einen Schritt voraus. Früher musste der Langstock seinem Besitzer hauptsächlich Hindernisse melden. Heute muss man mit dem Langstock zusätzlich die speziellen behindertengerechten Maßnahmen erkennen, wie z.B. die Rillen- und Noppenfelder. Das bedeutet auch, dass man eine neue Stocktechnik verwenden muss. Statt vor dem Fuß kurz mit dem Stock auf den Boden abwechselnd zu "tippen", sollte der Stock dauernd in Bodenkontakt vor den Füssen sein. Dann merkt man den Belagwechsel. Heutige Blindenstöcke haben runde, ballähnliche Spitzen, die gut rollen können und nicht in allen Unebenheiten hängen bleiben. Frühere Spitzen waren sehr oft "abgehackt".

Dieser Umstieg auf eine neue Geh- und Pendel-Technik geht nicht allzu schnell voran. Die "Jungen" haben sie schon erlernt, die ältere Generation hinkt noch sehr nach. Um die vielen heutigen Hilfen im öffentlichen Raum ordentlich nützen zu können, ist sie aber unumgänglich. Es gilt wohl die Devise: Keine Scheu vor dem Umlernen!

Die Stadt Graz verfügt über ca. 40 lichtsignalgesteuerte Straßenkreuzungen mit akustischen Signalanlagen (blaue Kästchen). Diese Kästchen ticken immer, langsam und ruhig. Durch diesen "Auffindungston" können sie von Nichtsehenden gefunden werden. Manche Kästchen müssen gedrückt (aktiviert) werden, um ein schnelles, akustisches Signal bei der Grünphase abzugeben; viele gehen automatisch mit. Sie haben den Vorteil, dass sie auch Kindern, Schülern und sehr vielen älteren Leuten nützlich sind. Sie haben den Nachteil, dass sich Anrainer gestört fühlen können (durch das schnelle Ticken in der Grünphase). Wenn ein Sehgeschädigter die Straße bei Grün überquert, muss er ab Mitte der Straße das gegenüberliegende Signal hören können. Diese akustischen Signale sind ausgezeichnet, weil sie nicht nur uns helfen. Sie sind in einer ÖNORM zu finden.

Wir haben die am besten ausgestatte Stadt in ganz Österreich: Vielen Dank an die Stadtverwaltung!! Es ist sehr wesentlich, dass es immer wieder eine öffentliche Berichterstattung über diverse Neuerungen und Anliegen gibt. Uns ist es dabei ein großes Anliegen, den finanziellen Trägern und Bauverantwortlichen zu danken, um auch in Zukunft eine gute Gesprächsbasis aufrecht zu erhalten."

Ann-Mary Linhart

Aus: "Odilien-Institut im Blickpunkt", Folge 43/März 2000

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Erstellt am Di, 17.10.00, 08:01:19 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/verkehr/lend.shtml

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