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Blind durch Schweden

Von Uppsala nach Kiruna (mit Carolakonzert),
über Hultsfred, Östersund,
Stockholm (Vasa- und nordisches Museum),
Vimmerby (Astrid-Lindgrenmuseum)
bis nach Deutschland

Vom 12. Juni bis 24. Juni war ich mit meinem Mann in Schweden. Zwei Tage danach mußte er zu einem Seminar in Deutschland. Ihn hat der hohe Norden nicht wirklich interessiert, also bin ich dann eben mit einem Interrailticket zwölf Tage durch Schweden gereist.

Von Uppsala nach Kiruna (mit Carolakonzert)

Dienstag, 24.06.2003

Gegen 5.00 Uhr am Morgen brummt mein Mann Lutz mit unserem Wagen durch den Regen in Uppsala Richtung Trelleborg davon. Ich schlafe noch einige Stunden und frühstücke gemütlich. Unser Freund Dietmar, bei dem wir wohnen durften, hört mir beim Klavier üben zu. Ich packe am Nachmittag, und wir gehen Pizza essen. Ich habe den Eindruck, daß Dietmar ein wenig skeptisch ist, wie ich allein in Schweden klar kommen will. Deshalb möchte ich ihm das Gegenteil beweisen.

Ich habe alles für die Reise, nur ein Mückenmittel fehlt noch. Dietmar und ich gehen in ein Einkaufszentrum. Er holt Geld an einem Automaten, und ich frage mich zur Apotheke durch. Dort kaufe ich "Mygga". Alles klappt wunderbar, ich bin happy und habe das Gefühl, daß Dietmar ein Stein vom Herzen gefallen ist. (Er hatte mich nach dem Geldabheben beobachtet.) So kann ich beruhigt nach Kiruna fahren. Der Abschied in Uppsala am Bahnsteig ist herzlich.

Als ich mein Abteil gefunden habe, klopft Dietmar noch von außen! Mit mir sind 2 Däninnen, ein Däne mit seiner polnischen Freundin und ein Deutscher im Zug. Gegen halb 11 ist es noch hell draußen! Wir sind bei Sundsvall, und ich bin begeistert, wenn ich aus dem Fenster sehe. Der freundliche Deutsche hilft mir beim Einrichten des Schlafplatzes. In dieser Nacht schlafe ich super!


Mittwoch, 25.06.2003

Gegen 7.00 Uhr sind wir in Boden, und ich trinke einen Kaffee im Restaurantwagen und esse Kuchen. Phantastisch. Alles läuft nach Plan. Auf meiner Reise will ich nur schwedisch sprechen und nehme mir vor, alle Zugreservierungen und Buchungen auf Schwedisch abzuwickeln.

In Kiruna frage ich eine Frau, ob sie mich zum Informationsschalter bringen kann. Sie tut es. Dort lasse ich mir meine Verbindung nach Bergen heraus suchen und notiere fleißig alles mit einer Blindenschrifttafel mit. Jeder Punkt der Blindenschrift wird einzeln mit einem Griffel gestanzt. Das läuft natürlich spiegelverkehrt. Klar gibt es Maschinen, mit denen geht das einfacher und schneller, die wiegen aber auch einiges und nehmen Platz weg. Für mich mit Hand-, Flugtasche und Rucksack kommt es auf jedes Kilo weniger an. Ich frage, wo ich ein Hotel buchen kann. Ich werde an das Touristbüro verwiesen. Die Frau hinter mir in der Schlange bietet mir an, mich mit ihrem Wagen hin zu fahren, es liegt auf ihrem Weg. Ich nehme ihr Angebot dankend an. Für solche Fälle habe ich kleine Packungen "Nürnberger Lebkuchen" dabei und auch Kassetten mit Eigenkompositionen.

Im Touristbüro frage ich nach einer billigen Übernachtungsmöglichkeit. Das Vandrarhem hat zu und macht erst Stunden später auf. Mir ist ein Hotel mit Bad im Zimmer doch lieber. In Samegård ist noch was frei. Ich lasse mir ein Taxi bestellen und fahre hin.

Die Leiterin des Hotels zeigt mir den Frühstücksraum, wo es nach Draußen geht und in welche Richtung ich mich orientieren muß, wenn ich zum Zentrum will. Das kleine Weckradio bekommt die Leiterin nur laut und mit Knatterklang in Gang und auch wieder aus. Nachdem sie weg ist dusche ich, bekomme das Radio in Gang, kann rauschfrei Sender einstellen, diese auch wechseln, bekomme es aber auf normalem Wege nicht aus. Stecker ziehen hilft jedoch immer. Ein weiteres Problem ist das Kippfenster. Bei meinen Eltern daheim war so eines schwergängig, daß es offen blieb, dieses fällt zu. Selbst, wenn ich den Hebel bei geöffnetem Fenster in die wagerechte bringe, bremst es nicht das Fenster. So tue ich etwas für den Muskelaufbau im rechten Arm und lüfte, während ich das Fenster offen halte.

Später will ich in die Stadt gehen, kann jedoch die Haustür nicht öffnen. Der senkrechte Türriegel ist wohl nur Zierrat, wie vieles an diesem Haus, das wie ein samisches Spitzzelt aussieht. Die Hotelchefin Sigrid kann ich nicht finden, also klopfe ich einfach an einem Zimmer, in dem der Fernseher läuft. Schnell erweist sich, daß der beim Fernsehen gestörte Herr sehr freundlich ist, jedoch kein Schwedisch, schlecht Englisch, aber am besten italienisch spricht. Bei mir ist es fast umgekehrt. Er will mir jedoch helfen und folgt mir zur Tür. Schnell stellt sich heraus, daß er auch ein Problem mit diesen Türen hatte. Ein Drehknopf, wie bei einer Toilettentür ist unter dem Zierriegel verborgen. Das muß man nur wissen, dann kommt man auch ins Freie. Ich bedanke mich und öffne.

Gegen halb fünf mache ich mich auf den Weg ins Zentrum. Leider begegne ich niemandem. Ich brauche an einer größeren Kreuzung ohne Blindenampel doch Hilfe. Zwei Kinder, die ich anspreche, lachen sich halb schief, als ich in der Botanik lande. Gut, da sind Kinder auf der ganzen Welt gleich. Also warte ich ab. Ich bin ja nicht allein in der Wüste oder im Fjäll, sondern wohlweißlich in einer Stadt. Eine Frau mit Fahrrad kommt vorbei. Es ist Sigrid. Sie muß auch ins Zentrum und erwähnt nebenbei, daß Carola (Schwed. Popsängerin) am Freitag auf dem Festival in Kiruna singt. Da muß ich doch hin! Sigrid weiß, wo es Karten gibt, und deshalb gehe ich zum Touristbüro. Von dort aus gehe ich, nach dem Weg fragend, zu einem Einkaufszentrum und suche in einem CD-Laden nach der CD von Jill Jonsson "När hela världen ser på". Die gibt es nirgends mehr. Pech gehabt. Aber ich kaufe in einem Lebensmittelladen Limo und Mineralwasser.

Als ich nach draußen komme fällt mir der Klang eines Springbrunnens auf. Da muß ich hin! Wir haben so schön gestaltete davon in Nürnberg, und ich bin wirklich neugierig und eile darauf zu. Einige größere Steine liegen am Boden. Ich denke, daß dies wohl die Außendekoration ist und ich gleich vor einer wie auch immer schön gestalteten Einfassung stehe, als ich merke, daß die umstehenden vor Schreck die Luft anhalten. Ich wäre wohl bald im Wasser gelandet.

Beim Brunnen wartet ein Mann auf seine Frau. Wir kommen ins Gespräch. Ich frage, wie es denn im Winter ist, wenn es nur dunkel bleibt. "ah, det går", es geht, meint er bedächtig. Es ist ja nur 10 Nächte richtig dunkel, fügt er hinzu. Ich bleibe noch ein wenig beim Brunnen, gehe einen Kaffee trinken und bestelle mir ein Taxi zum Hotel.

Ein Mann sieht im Wohnraum Sport und läßt sich sein Abendessen schmecken. Offensichtlich ist die Unterhaltung mit einer Deutschen wohl interessanter, als das Sportprogramm. Er ist Vertreter aus Boden, und ich höre zum ersten Mal die Frage, die ich nun während meiner ganzen Reise ständig vernehmen darf: "Wo lebst du in Schweden?" Beim ersten Mal bin ich natürlich höchst überrascht und wiederhole, daß ich aus Deutschland komme. "Das ist klar, aber, wo wohnst du in Schweden?" Er glaubt nämlich, daß ich hier lebe, weil ich die Sprache so gut beherrsche. Dafür beherrsche ich jedoch die Technik der Kippfenster nicht und mit Blick auf eine Nacht bei geschlossenem Fenster frage ich den Mann nach deren Funktionsweise. Sigrid war, als ich sie traf, auf dem Heimweg und will mir morgen helfen. Bis dahin bin ich aber entweder an Luftmangel eingegangen oder habe Bodybuildingarme. Der Herr aus Boden spricht von einem Holzscheit, das im Zimmer liegt, mit dem kann man das Fenster offen halten. Ich bitte ihn, mit mir auf die Suche nach diesem Ding zu gehen, und er findet es auf einen Blick.

Ich bin neugierig auf die Mitternachtssonne! Ich sehe sie! Es ist hell wie am Nachmittag. Ich finde aber, daß die Sonne nicht wärmt. Später sagt mir jemand, daß sie im Gebirge durchaus auch zu Mitternacht wärmt, dort stehen ja keine Häuser im Weg. Die Sonne scheint zwar, steht aber tief. Es ist schon merkwürdig! Der Kopf weiß ganz genau, daß es Hell ist. Aber, als ich schlafen will, bin ich doch sehr verwundert über die Helligkeit und kann zwei Stunden nicht einschlafen.


Donnerstag, 26.06.2003

Im Hotel gibt es von 07.30 Uhr bis 09.00 Uhr Frühstück am Buffet im Frühstücksraum. Außer mir ist noch der Italiener mit seiner Frau da. Sie helfen mir ein wenig. Ich will nicht alles anfassen und versehentlich z. B. mit dem Finger in die Marmelade greifen.

Sigrid betreibt noch ein Museum über die Geschichte und Kultur der Samen. Sie führt mich durch, hat aber wenig Zeit. Außer einem Spitzzelt (sam. Lavvu, schwed. tältkåta) kann ich wenig anfassen. Ich lasse mir von ihr die deutschen Texte über das Museum kopieren, und sie gibt mir alles in einer Klarsichthülle mit. Ich erwerbe einen Schlüsselanhänger aus Rentierhorn, der mich ab jetzt immer begleiten wird.

Danach erkunde ich die Umgebung des Hauses. Vom Dach schräg nach Unten verlaufen oft Holzbalken. Wie gesagt, es soll eine Tältkåta symbolisieren. Am Vormittag sitze ich auf einer Bank, direkt neben einem der vielen Eingänge. Ich finde sie auch. Da kommt Sigrid und bringt mir eine Tasse Kakao und eine Banane. Im Hotel gibt es nur Frühstück, ich bin gut mit Lebensmitteln versorgt, aber ich kann die quirlige Samin nicht von ihrem Tatendrang, mich ein wenig durchzufüttern, abhalten. Sie fragt, wie ich klar komme. Mir fällt das Wort "Spülmittel" nicht ein. Sigrid hatte mir die kleine Küche beim Aufenthaltsraum nämlich nicht gezeigt. Ich wußte aber, seit der Herr aus Boden sein Geschirr gestern abend abspülte, daß es eine gibt und fand dort alles, bis auf das eben genannte Spülmittel. Und so sage ich, daß ich das "medel för att diska" nirgends gefunden habe. "Ah, diskmedlet", meint sie. Ich muß häufig Worte umschreiben, lerne aber so Tag für Tag mehr Schwedisch.

Sigrids Mann kommt, und ein Polizist, der humorvoll behauptet, Geheimdienstchef zu sein. Ich begrüße ihn darauf hin mit "Hej Kommissar Vallander", alles lacht. Da setzt sich die 25-jährige Nachbarin Maritta zu mir und fragt: "Bor du här?" Nach und nach gehen die Anderen. Ich lerne von Maritta die Zahlen eins bis fünf auf Samisch und zu sagen, wie ich heiße. Die Sprache klingt weich und schön. Joik mit den weichen und häufigen "olololo" im Refrain gefällt mir ebenso.

In der Nacht gehe ich nach draußen, und es ist bewölkt. Der Himmel ist Hell, es ist nicht dunkel - logisch. Ein Fleckchen ist jedoch heller. Da muß die Sonne stehen. Ich bin mir aber nicht ganz sicher. Weil ich anscheinend Licht in seiner Gesamtmenge stark wahrnehme, kann ich den Lichtdom einer Stadt gut erkennen. Diesen sehe ich dann so hell, wie eine zweite Sonne. Um wirklich die Sonne und nicht einen evtl. vorhandenen Lichtdom anzupeilen, spreche ich einige Jugendliche an, die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Die angepeilte Richtung war in Ordnung, aber es ist eben bewölkt. Trotzdem warte ich und sehe in den Himmel. Ich werde aber plötzlich auch gesehen! Von den Mücken! Eine höre ich. Bevor sie weicht, läßt sie sich lieber erschlagen. Eine andere bemerke ich leider erst, als sie mir, welch eine Unverschämtheit, ins Augenlied sticht, und ich rechne damit, morgen wie die k.o. gegangene Gegnerin von Boxerin Regina Halmig auszusehen. Das wie ein Deoroller aussehende "Mygga" muß her! Es riecht so eigenartig, daß die Mücken die Flucht ergreifen. Zum Glück muß man nicht alle freien Körperstellen einreiben, sondern es nur strichweise auftragen. Das reicht wirklich, um die Blutsauger fern zu halten. Zwei Striche auf den Wangen und auf den Armen, ich habe Ruhe.


Freitag, 27.062003

Ich zahle nach dem Frühstück für das Zimmer. Am Samstag ist keiner da und folglich gibt es auch kein Frühstück. Ich frage, wann ich das Zimmer verlassen muß. Sigrid sagt, ich kann bleiben, so lange ich will. Klasse! Dann kann ich bis zur Abfahrt des Taxis am Abend bleiben. Ich führe einige Telefonate und unterhalte mich mit einer Freundin von Sigrid. Ein Nachbar oder Angestellter kommt. Sigrid spricht mit ihm samisch. Plötzlich reden die beiden Schwedisch. Sigrid meint, daß so Samisch klänge. Ich sage ihr, daß sie aber soeben ins Schwedische gekommen sind. Warum, kann sie mir auch nicht erklären. Sie ist begeistert von meinem Erlernten und vor Begeisterung schenkt sie mir eine samische Flagge als T-Shirtaufnäher. Ich bin sehr stolz über diese Ehre und sage ihr, daß ich die Flagge auch mit Ehre und Stolz tragen werde. Maritta hat mir "ich komme aus Deutschland" mit "ich komme von außerhalb des Reiches" erklärt. Es gäbe kein Wort für die Deutschen und Deutschland im Samischen. Sigrid meint, daß dies "saxa" wäre. In Norwegen, als die deutschen Besatzer da waren, hätten diese die Samen in Ruhe gelassen. Sigrid fügt hinzu, wohl, weil die Samen für die Deutschen Rentiere gefangen haben. Ich antworte, daß die Nazis früher oder später ebenfalls die Samen unterdrückt hätten.

Am Abend passiert eine absolut unglaubliche Geschichte, in deren Verlauf ich doch lieber Englisch spreche, weil ich am Gehörten und somit an meinem Schwedisch zweifle: Ich informiere mich im Touristbüro über die Kosten für die morgige Grubenführung, die mir aber zu teuer ist. Da höre ich eine Gruppe Deutscher. Ich sage fröhlich: "Ach, Sie sind aus Deutschland", und frage, wie sie denn so klar kommen. Hier würde kaum einer deutsch sprechen und sie, alle etwas älter, können kaum Englisch. Ich biete meine Hilfe an. Ich interessiere mich nicht für Tierparks, und deshalb wiederhole ich die Frage des Deutschen auch auf Schwedisch ohne Erstaunen, wie weit es denn von hier nach Skansen sei. Die Büroangestellte ist gelinde gesagt sehr überrascht und meint, daß das bei Stockholm liegt. Ich sage auf Schwedisch "förstår jag rätt, Skansen ligger nära Stockholm! Do i understand it right..." "Ja, det stämmer", meint sie simpel. Ich übersetze zurück. Da sind die erstaunten Deutschen wirklich falsch. Gibt es wirklich so merkwürdige Reiseführer? Die Gruppe will Tiere sehen. So frage ich nach Elchen und Rentieren. Die Frau meint, daß zwei Rentiere auf dem Campingplatz stünden. Das kann ich nicht glauben, weil die armen Tiere dann ja nicht umher ziehen können und das eine Qual für sie sein muß. Weil ich meinen Ohren nicht trauen mag, wiederhole ich das Gehörte höchst erstaunt auf schwedisch und englisch. Die Frau bestätigt es auf Schwedisch. Sie läßt sich nicht ins Englische abwerben, obwohl es mir in dieser Situation mit so viel Merkwürdigkeiten lieber wäre. Da es wohl sonst nichts mehr gibt, was die Gruppe nicht schon kennt, überlegen sie, nach Narvik zu fahren. Die Preisunterschiede zwischen Bus- und Zugfahrt spielen noch eine Rolle. Nachdem sich alle für eine Zugfahrt entschieden haben, frage ich einfach nach einem Fahrplan, bevor sich fünf Personen auf eine Abfahrtszeit festlegen müssen. Was habe ich daraus gelernt? Ich kann ruhig meinen Ohren trauen, mein Schwedisch führt mich nicht in die Irre. Das schafft enorme Selbstsicherheit und bringt mich einen Riesenschritt nach vorne. Da ich dem Gehörten trauen darf, muß ich nicht dreimal gedanklich nachvollziehen, ob es auch stimmt, sondern darf völlig entspannt antworten, es wird richtig sein. Das beschleunigt Konversationen ungemein und ist für mich weniger anstrengend.

Gestern war es warm, bis zu 25 Grad tagsüber. Heute hat es am Tag mehrfach geregnet. Ein Wachmann bringt mich zu einer Bank im Festivalgelände. Später will ein nach Alkohol riechender Schwede mit mir seine Popcorn teilen und fragt, ob ich verlobt bin. Ich erkläre, daß in Deutschland der Ehering an der rechten Hand getragen wird. Eine Frau kommt hinzu und nach und nach ihre Familie und Freunde. Allen werde ich vorgestellt! Wer kommt schon aus Deutschland, um Carola zu sehen?

Es wird schnell empfindlich kalt, wenn man nur da sitzt, und ich friere. So ziehe ich mir einen Pullover und meinen Regenmantel über. Tja, was anderes hab ich nicht dabei. Der Regenmantel schützt vor dem kalten Wind. Ich hätte doch besser meine Winterjacke nach Schweden mitgenommen! Mehrschichtbekleidungssystem funktioniert bei mir leider nicht. So sitze ich da und versuche meine Hände warm zu kriegen. Plötzlich kommt ein Mann mit einer tiefen Stimme auf mich zu, nimmt meine Hände in seine großen, warmen Hände und meint: "Ich bin ein Freund, der Wachmann von vorhin. Frierst Du?", ich beantworte die frage mit "ja". Ich frage: "Wie kommt's, daß du warme Hände hast?" "Ich bin in Kiruna geboren", meint er und das Lächeln klingt aus seiner Stimme. Ja, ich gehöre auch in Deutschland zu den Schnellfrierern, ich gebe es zu.

Carola soll von 20.00 bis 21.00 Uhr singen, fängt aber eine Viertelstunde später an. Das Publikum jubelt und ist aus dem Häuschen! Ihr Auftritt ist perfekt! Sie versteht es, die Leute mitzureißen. Ihre poppigen Lieder sind guter Durchschnitt. Ich liebe ihre Balladen. Aber davon singt sie oft nur eine Strophe und den Refrain und ihre Musiker leiten zu etwas poppigerem über. Schade eigentlich. Andererseits kann ich dabei etwas mit den Füßen wippen. Mir ist kalt. Als Zugabe gibt's zwei Stücke: Ihren Grand-Prix-Siegertitel von 1991 "Fångad av en Stormvind" und den berühmten Schlager "Främling". Nun sind die Konzertbesucher nicht mehr zu halten. Das war's dann aber auch. Auf dem Programm steht eine Discoveranstaltung, die, weil Carola überzogen hat, erst gegen 21.30 Uhr anfängt und nicht gegen 21.00 Uhr. Dies erfahre ich von einer Frau, die (wohl Discofan) darüber sauer ist. Oder ist sie auch nicht in Kiruna geboren, friert und will deshalb nur noch tanzen?

Zwei Frauen aus Jukkasjärvi, beide mitte 50, die neben mir saßen, gehen mit mir freundlicherweise zum Scandic Hotel Ferrum. Dort läßt mich der Rezeptionist ohne Probleme ein Taxi rufen und will nicht einmal Geld für den Anruf annehmen. Mein Handy hat mit leerem Akku zuvor während der Bestellung die Verbindung unterbrochen.

Die Vögel singen an Sommertagen rund um die Uhr! Um Mitternacht höre ich noch Buchfinken und Meisen. Um 02.45 Uhr fangen die Spatzen zu tschilpen an! Es ist nicht bewölkt und ich habe etwas vom Sonnenlicht!

Hultsfred, Östersund,
Stockholm (Vasa- und nordisches Museum)

Samstag, 28.06.2003

Ich faulenze und telefoniere recht viel, da sich privat einige unschöne Dinge in Deutschland ereignet haben. Auf p3 läuft eine Kabarettsendung, bei der alle Parteien und deren Symbolfiguren durch den Kakao gezogen werden. Ich amüsiere mich und ziehe das Bett ab. Sigrid wird sich freuen! Mit dem Taxi geht's zum Bahnhof. Dort fällt mir auf, daß die Schweden bei einer Ansage, die eine volle Stunde betrifft, die zwei Nullen mitsprechen. um "klockan nitton noll noll), soll der Zug fahren, hat aber Verspätung.

Es gibt Menschen, die man kaum kennt, mit denen unterhält man sich und tauscht auch recht persönliche Dinge aus. So geht es mir heute, als ich einen pensionierten Polizeidozenten treffe. Im Verlauf des Gespräches komme ich zu dem Ergebnis, den Norwegenplan fallen zu lassen, weil mir durch hin- und Rücktour bestimmt zwei Tage verloren gehen, die ich in Schweden nötiger brauche.

Man muß in Schweden keinen PC haben, wenn man einen guten Freund hat, bei dem einer steht. So rufe ich meinen Mann an, erkläre ihm welche Dateien auf meiner Festplatte er an eine Mail anhängen muß, die an den Bekannten geschickt werden soll. Die Mail wird verschickt, ich lasse mir von dem guten Freund eine Verbindung nach Hultsfred geben und die 22-stündige Fahrt kann weiter gehen. Heute habe ich den "Sandra-verläuft-sich-Tag". Auf dem Weg zum Zugrestaurant gerate ich in die Küche. Abendessen gibt's ab Boden, meint ein Kellner. Also zurück. - zuerst natürlich in die Küche, von der anderen Seite. Jetzt weiß ich, daß auf dem Hinweg die Küchentür einen wagerechten normalen Türgriff hat, der Restaurantwagen aber eine Glastür, mit langem diagonalen Griff, der über die ganze Tür hin verläuft. Nach Boden gehe ich noch einmal zum Restaurant, ohne mich zu verlaufen. Ich setze mich - und warte, warte und warte. Um mich her klappert Geschirr. Ich frage die Frau auf der anderen Gangseite, ob hier serviert wird, oder man sich das Essen selbst holen muß. Beim Frühstück auf dem Hinweg wurde mir alles gebracht, der Kellner vorhin kam auch vorbei und sagte, daß es erst ab Boden etwas warmes gäbe. Jetzt erfahre ich, daß man an der Theke bestellt, später aber das Essen an den Platz serviert bekommt. Ich gehe also zur Theke, gleich bei der Küche und bestelle für 65 Kronen Hähnchenbrust mit Reis. Salat ist auch dabei. Das Hähnchen ist mit Zitronenmelisse und Curry angemacht, schmeckt lecker und die Portion ist riesig!

Im Großraumwagen komme ich mit 2 Studenten aus Württemberg ins Gespräch und bleibe bei ihnen in der Sitzgruppe, weil die Unterhaltung so toll ist. Ich hole nur noch mit einem von ihnen meine Sachen aus der Ablage über meinem Platz. Den haben die Leute dort zum Ruhen mit in Beschlag genommen, ich meine: "Weiter schlafen, gute Nacht", und verziehe mich. Für die Rücktour habe ich bis Stockholm einen Sitzplatz reserviert. Weiter konnte ich in Kiruna noch nicht reservieren, gut so, denn jetzt fahre ich ja nicht nach Norwegen.


Sonntag, 29.06. 2003

Als um viertel nach sechs einer in der Sitzgruppe gegenüber aussteigt, wird dort die Bank frei. Der Student neben mir zieht um, und ich kann mich auch ausstrecken. So schlafe ich bis halb neun. Ich bin so verschlafen, als ich das Wort "Kaffee" höre und die an mich gerichtete Frage, ob ich auch einen wolle, daß ich heute schon gar nicht mehr weiß, ob ich schon wirklich wach war oder von den Studenten geweckt wurde. Die Idee mit dem Kaffee ist aber gut! Zurück am Sitzplatz, schauen wir uns mein schwed. Kursbuch an. Warum auch immer, aber manchmal passieren Dinge eben zur rechten Zeit. So erfahre ich, daß ich, um nach Hultsfred zu kommen, in Linköping umsteigen muß. Das hatte der Freund nicht gesagt, und ich wäre mit dem Zug von Stockholm aus dann halt weiter gefahren. Das Kursbuch gab es kostenlos am Bahnhof in Uppsala. Dietmar hat es für mich mitgenommen, damit ich mal jemanden fragen kann, wenn ich eine Verbindung brauche. In Stockholm sind wir gegen 12.00 Uhr, also pünktlich. Der Polizeidozent und ich unterhalten uns erneut, und er verpaßt seinen Zug nach Malmö um 12.18 Uhr. So was dummes! Ich fühle mich schuldig, weil ich auch nicht daran gedacht hab. Er meint aber, daß die Schuld bei ihm liegt, er hätte ja auch aufpassen können.

Wie jedesmal zum Umsteigen verständige ich den Bahnservice, die Umsteigerei klappt aber auch so, bevor die überhaupt in Linköping kommen. Ich bin ziemlich müde, als ich um 17.26 Uhr in Hultsfred ankomme und von Daniel freundlich begrüßt werde.

Er zeigt mir mein Zimmer für diese Nacht und bietet mir ein Glas Wasser an. "Ich müßte sauber machen", meint er. Ich sage, daß ich das schon machen kann, als kleines Dankeschön für die so plötzliche Aufnahme. "Du solltest auf jeden Fall zuerst schlafen", meint er.

10 Wochen hat in dieser studentischen Männerwirtschaft ein Musiker vor sich hin gewurstelt, gekocht, aber nichts sauber gemacht. Daniel bereitet sich vor, er will noch einen Film machen und muß dann gleich los. Ich stelle erst mal das schmutzige Geschirr auf einen Punkt zusammen und reinige die Spülbecken, damit ich überhaupt anfangen kann. Dann fahnde ich in den Schränken nach einem Geschirrtuch. Eine Plastiktüte kommt mir zwischen die Finger. Da gucken oben, als ich sie berühre, Zwiebelkeimspitzen raus. Ich drücke von außen leicht gegen die Tüte. Manche Zwiebeln scheinen weich zu sein. - Gekauft und rinn in den Schrank, "was scheren mich Vergammelungsprozesse, ich bin ja kein Biologe", muß der Musiker wohl gedacht haben. Ich bin so entsetzt und angewidert, daß ich all mein Schwedisch, Englisch und Hochdeutsch vergesse und in der zweigestrichenen Oktave durch das Haus "iiih, die kannst'd wechschmeiß'n" brülle. Daniel kommt die Treppe herunter gerannt, und ich erkläre ihm, daß er die gesamte Tüte am besten weg wirft. Er faßt die Tüte an! Das könnte ich nicht, mir ist schlecht. Ich sage aber tapfer, "ich mache jetzt weiter". Ich bräuchte für die Herdplatten eigentlich ein Scheuermittel, hier gibt's aber nur ein Spülmittel und eine Spülbürste. So bleibt eben halt ein Rand um die Platten übrig. Trotzdem habe ich den Eindruck, daß die Küche schon lang nicht mehr so sauber war. Nach zwei Stunden bin ich fertig, dusche und versuche zu schlafen. Als Daniel den Schlüssel unten in der Tür dreht, bin ich sofort munter. Er hatte von meinen Unterlagen 3 Ausdrucke gemacht und liest mir neue Texte hierzu aus dem Web auf meinen Minidiskrekorder. Morgen werde ich die Infos auswerten und dort anrufen. Er bekommt von mir eine Fußreflexmassage und wir unterhalten uns noch. Gegen halb eins denke ich, daß ich jetzt endlich schlafen kann. Weit gefehlt. Irgendwo übt jemand Schlagzeug.


Montag, 30.06.2003

Gegen acht weckt mich Daniel. Wir frühstücken. Er meint, "die Butter ist noch gut, aber der Käse nicht mehr". Ein Brot esse ich, Daniel hat noch Hunger und ich gebe ihm mein zweites. Der Småländischen Wasserversorgung traue ich gute Qualität zu und nehme mir zum Auswerten und Telefonieren ein Glas Wasser mit an den Eßtisch im Flur. Daniel bringt mich freundlicherweise zum Termin um 13.00 Uhr im Pfarrhaus. Die Pastorin ist wirklich sehr freundlich!

Daniel macht Geflügelhackfleischklößchen mit neuen Kartoffeln! Es schmeckt wirklich fein! Er hat keinen eigenen Drucker und druckt mir die von Lutz geschickten Unterlagen bei sich in der Schule erneut aus. Dann fahre ich auch schon nach Uppsala. Ich habe keine Zeit mehr, für den X2000 zu reservieren und erfahre auch prompt, daß der Zug voll ist. Aus lauter Hektik vergesse ich all mein Schwedisch und erzähle auf Englisch, daß ein Freund von mir in Uppsala auf mich wartet. Mit mir ist ein Schwede zum Zug gegangen, der auch keine Reservierung hat. Der Schaffner fragt, ob wir zusammen gehören. Keiner sagt etwas. - Der Schwede darf mitfahren!

Als die Anschlußzüge im X2000 angesagt werden, beweist der Schaffner Humor: Er sagt einen Anschlußzug nach Östersund in die "Republik Jämtland" an! Ich krieg einen Lachanfall.

In Stockholm werde ich vom Bahnservice zur Wartehalle und eine Stunde später zum Zug nach Uppsala gebracht. In der Zwischenzeit höre ich Radio. Im Zug frage ich, ob jemand in Uppsala aussteigt und mich zum Bus bringen kann. Ja, eine Frau kann! Und in Sävja an der Lapplandsresan wartet Dietmar auf mich! - Es ist, wie Heim kommen! Ich dusche, wir unterhalten uns noch kurz und ich schlafe! Endlich kann ich gut und tief und lang schlafen!


Dienstag, 01.07.2003

Es ist ein wunderbar gemütlicher Tag! Nach dem Frühstück übe ich Klavier und habe wieder einmal einen begeisterten Zuhörer. Am Nachmittag kommt eine Nachbarin zu Dietmar, die als Physiotherapeutin das Hobby Haareschneiden für sich entdeckt hat. Sie schneidet Dietmar die Haare. Ich flechte ihr aus den Seiten- und Deckhaaren einen Zopf quer über den Kopf und lasse ihn nach Unten offen auslaufen. Schwer zu beschreiben, aber schön! Danach stecke ich ihr Goldperlen in den Zopf. Das selbe mache ich mit meinem Haar. Die Goldperlen habe ich bei uns in Deutschland im Afroshop gekauft. Dort bin ich zufällig vorbei gekommen. Die sind wesentlich stabiler, als das, was man bei uns bekommt. Bei unseren Geschäften sind evtl. gerade mal 10 in einer Tüte, hier sind es an die 50. Deshalb kann ich die eingeflochtenen Perlen auch der Nachbarin schenken. Sie ist von der Frisur und den Perlen begeistert. Dietmar hat die Nachbarn zum Abendessen eingeladen. Es wird ein gemütlicher Ratschabend. Der Nachbar von Dietmar kommt aus Jämtland und Dietmar hat mir so lustige jämtländische Sprüche beigebracht... Wie die Antwort auf die Frage, was man gemacht hat. Da sagt man dann "ich hab für das Herrenvolk gearbeitet". Natürlich kann ich kein Jämtländisch und muß lachen! Dietmar souffliert mir ins Ohr und ich muß noch mehr lachen! Dietmar darf, um mich zum Bahnhof zu bringen, das Auto des Ehepaares ausleihen! Wir bedanken uns auf das Herzlichste!!!


Mittwoch, 02.07.2003

Dieser Tag entwickelt sich zu einem der schlimmsten Tage in meinem Leben!

Dietmar bringt mich also zum Zug, der um 00.06 Uhr in Uppsala abfährt. Die Verabschiedung ist herzlich. Ich sitze in einem Großraumwagen und friere. Ich bin so nervös, daß ich keine Minute schlafen kann. Außerdem schmatzt, rülpst und gähnt ein Mann ständig und laut. Er spricht auch viele Leute auf Schwedisch und Englisch an. Mich aber nicht. Die Frau schräg gegenüber hat die Füße auf meiner, und ich auf ihrer Seite platziert. Wir haben wohl keinen Platz für ihn. Der Mann kann genauso nichts für seine Behinderung, wie ich! Ich ziehe aber den Hut vor ihm, weil er trotzdem Englisch kann. Lange überlege ich mir, ob ich ihn höflich bitten soll, etwas leiser zu gähnen, denn ich als selbst behinderter glaube, eher etwas sagen zu dürfen. Außerdem kann ich ihn ja für sein Englisch bewundern. Ich bin feige und sage nichts.

Gegen halb sieben sind wir in Östersund. Ich höre im Bahnhofswarteraum wieder Radio und werde um acht vom Kirchenvorstand abgeholt. Ein anderer Kirchenmusiker ist in Berg, eine Stunde von Östersund, auch anwesend. Heute geht alles schief. Ich habe zu klobige Schuhe für das Orgelspiel an und treffe oft 2 Pedale gleichzeitig. Die Lebkuchen, obwohl erst vor Reiseantritt gekauft, riechen merkwürdig. Nein, hier werde ich nicht alt werden. So toll der andere Musiker auch Orgel spielen kann, so schlecht fährt er Auto. Er ist aus Östersund, ist aber trotzdem höchst ortsunkundig und pflegt einen Fahrstil wie ein Führerscheinneuling. Nach eineinhalb Stunden sind wir gegen halb drei in Östersund. Anschluß habe ich erst gegen 21.00 Uhr. Ich will mir nämlich eine Hotelübernachtung sparen, wenn ich in der Nacht fahren kann. Was tun? Ich habe keine Nerven auf eine großartige Unternehmung und schlafe eine Stunde im Wartesaal. Dann spricht mich ein Schreiner an. Ich bin froh, als er fährt. Langsam wird mir bewußt, welche Konsequenzen das Desaster in Berg hatte. Deshalb fließen beim hemmungslosen Kaffeetrinken in der Kantine und im Wartesaal unter dem Kopfhörer, wo ich mich vor aller Konversation verstecken kann, viele, viele Tränen.

Bevor ich fahre rufe ich Lutz an. Er hat einen Schwedenreiseführer daheim und gibt mir die Öffnungszeiten des Nordischen und des Vasamuseums. Er sagt mir auch, wie ich mit der Tunnelban hinkomme.

Im Nachtzug friere ich, obwohl ich mir eine Baumwolljacke über den Pulli ziehe. Ich habe ein ganzes Seitenabteil für mich alleine und kann ausgestreckt wunderbar schlafen.


Donnerstag, 03.07.2003

In Uppsala steigt ein Dachdecker zu. In Stockholm kämpfe ich mit dem Geldwechselautomaten. Schaffe es aber dann doch noch, meinen Rucksack und die Flugtasche in einem Schließfach unter zu bringen, welches ich leicht wieder finden kann. Ein Fach ganz links in einer Außenreihe ist es. Ich kann es gerade noch von der Höhe her fast ohne Probleme erreichen. Gegen 08.00 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Informationsschalter und frage, wo ich eine Fahrkarte für die Tunnelban bekomme. Dort, wo ich sie vermeintlich kriege, werde ich weiter geschickt. Ich bin wohl falsch. Dann meinen die am richtigen Verkaufsschalter, ich solle mit dem Bus fahren, das wäre besser, der 47er hält vor dem nordischen Museum. So viel zu den tollen Angaben in Reiseführern. Da kann es wohl durchaus vorkommen, daß Skansen bei Kiruna liegen soll. Mit der U-Bahn ist es also weniger vorteilhaft.

Durch die Lauferei Rolltrepp auf und Rolltrepp ab, weiß ich nicht mehr, wo mein Schließfach ist. - Auch recht. Das findet sich. Der Weg zum Bus ist einfach, aber nervig, weil es regnet und die Regenjacke im Schließfach liegt. Auf der "Museumsinsel" werde ich wieder überrascht. Die Öffnungszeiten im Reiseführer stimmen nicht. Alles hat noch zu. Eine Frau, die wie ich mit dem Bus gefahren ist und im Vasamuseum arbeitet, nimmt mich mit. Sie zeigt mir alte Pflanzensorten und Skulpturen im Park! Es ist wunderschön! Die Rosen z. B. sind kleiner, als viele heutige, aber dafür duften sie wunderbar intensiv. Der Duft erinnert mich an das Rosenöl von Weleda. Im Museum warte ich bei der Frau und ihrer Kollegin im Zimmer. Die beiden entwerfen Texte. Ich genieße die Pause. Eine Dreiviertelstunde später zeigt mir die nette Dame, Agneta heißt sie, das Museum.

Um die Vasa wurde sozusagen eine Halle errichtet. Es darf nicht sehr hell darin sein, die Temperatur soll 20 Grad C. und die Luftfeuchtigkeit 60 % betragen, damit die Vasa nicht zerstört wird. Das schafft aber jetzt die Polyethylenglykol-Verbindung, mit der sie konserviert wurde, denn sie greift das Holz an. Warum ging die Vasa am Sonntag, 10. August 1628 unter? Weil König Gustav II. Adolf zur Eile drängte, die Vasa zu wenig Ballast mit sich führte (sie war zwar maximal mit Ballast beladen, aber, um sie am Untergang zu hindern, hätte es mehr sein müssen), das Wasser drang auch in die noch von den Salutschüssen her offenen Schießscharten ein. Auch sollen angeblich die Kanonen nicht richtig fest gebunden gewesen sein. Früher, im 17. Jahrhundert, wurden Schiffe nach Beispielen von Vorläufern und Tabellen gebaut. Dies führte dazu, daß einfach der Schwerpunkt der Vasa nicht gestimmt hat, wie man heute weiß. Auch die lange Bergungsaktion der Vasa war sehr spektakulär.

Ich darf die Vasa anfassen! Ganz Unten, am Boden. Ich darf durch ein Geländer schlüpfen, über einen Balken steigen, an der Klimaanlage vorbei und das wahrscheinlich durch das Konservierungsmittel klebrige, rauhe Holz anfassen! Ein erhebender Moment! Ich hab sie angefaßt!

Agneta und ich trinken noch einen Kaffee miteinander, dann führt sie mich zum nordischen Museum. Dort gibt es mehrere für Blinde gut geeignete Ausstellungen. Die Führungspersonen wechseln, mit Funkgerät wird immer jemand verständigt, wenn der Andere weg muß.

Die erste Ausstellung behandelt die Beziehung zwischen Mensch und Pferd und die Historie. Wenn man einen Kopfhörer trägt, und die Fernbedienung in der Hand auf einen Kreis an der Vitrine richtet und einen Knopf der Fernbedienung betätigt, erhält man eine Beschreibung von dem, was ausgestellt wird. Einmal sind auch Kommandos aus einer Reitstunde zu hören. Die Beschreibungen sind oft kleine Hörspiele, mit Pferd- und Wagengeräuschen.

Getoppt wird das aber von einer völlig anderen Ausstellung: Geschirr aus mehreren Jahrhunderten wird in Vitrinen ausgestellt. Und davor an kleinen Tischen befinden sich Reliefabbildungen, die detailgetreu jede Verschnörkelung jede Verzierung jedes Besteckteiles und jeder Kanne darstellen. Darüber oder darunter befindet sich eine schwedische Beschreibung in Blindenschrift, die die Farbe, das Material und die Höhe des Originals bezeichnet. Denn die Reliefdarstellungen sind kleiner, als die Originale.

Ebenfalls als Relief ist Mode dargestellt. Kleider und Schuhe. Und der ganze Text, der in den Vitrinen zu lesen ist, steht auch dabei. Diesmal kann man den umfangreichen Text lesen, wenn man das Relief umblättert; Denn am oberen Rand ist das ungefähr DIN A 4 große Blatt in einer Ordnerheftung eingeheftet. Ich bin total begeistert! Wenn ich das nächste Mal nach Schweden fahre, muß ich wieder zum nordischen Museum! Hier hätte ich zwei Tage bleiben wollen!

Im Bahnhof lasse ich mir den Informationsschalter zeigen und frage, ob mir jemand vom Bahnservice helfen kann, das Gepäckfach zu finden. Natürlich klappt alles.

Dietmar arbeitet und so warte ich in Uppsala am Bahnhof, bis ich einen Bus nehmen kann und er auch zu Hause ist. Was jetzt kommt, ist abenteuerlicher, als die gesamte Zugfahrerei: Ich finde niemand, der mir die Haltestelle zeigen kann oder/und will. Gott Lob habe ich mich eine halbe Stunde vor Busabfahrt darum bemüht. Eine Frau, die mir gerne helfen will, weiß den Weg dahin jedoch nicht. Dietmar ist wegen einer Wegbeschreibung per Handy nicht zu erreichen. Irgendwie erwische ich ihn dann doch noch. Dann sind wir auf der falschen Seite, der andere Bus wartet aber. Es stellt sich heraus, daß ich nur eine Station mitfahren kann und wieder umsteigen muß. Also ist irgendwas mit der Busverbindung doch falsch. Normalerweise kann man bis zur Lapplandsresan durchfahren. Ich bin geschafft, als Dietmar mich dort abholt.

Bei Dietmar dusche ich erst mal, und er macht mir Salat und Kartoffeln! Mmh! Dann versucht er, das Kursbuch zu entschlüsseln. Am Beispiel meiner schon bereisten Stockholm-Hultsfred-Verbindung. Dietmar ist der Überzeugung, ich hätte durchfahren können, kommt aber nach heftigster Diskussion doch drauf, daß er eine Nummer am Rand übersehen hat. "So viele Nummern und so viele Farben", war seine sicherste Auskunft. Dietmar braucht aber sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, den nächsten schwerwiegenden Fehler mache nämlich ich!

Vimmerby (Astrid-Lindgrenmuseum)
bis nach Deutschland

Freitag, 04.07.2003

Gegen 07.30 Uhr verlasse ich Dietmar mit dem Taxi. Der Abschied ist herzlich! In Uppsala steige ich dann in den X2000 nach Linköping.

Es war einmal ein Amerikaner, der fuhr nach Augsburg, obwohl er nach Regensburg wollte. Und es war eine überhebliche Deutsche, die das ziemlich lustig fand. Es war einmal eine verträumte Deutsche, die im Zug nach Linköping saß. Als die Ansage "nästan, Nyköping" erklingt, packt sie Rucksack, Hand- und Flugtasche - und steigt aus.

Ich frage, ob jemand zufällig Richtung Vimmerby fährt. Schweigen. Ich setze hinzu, daß ich in Linköping umsteigen muß. Kurze Stille. Dann sagt eine Dame zum Glück: "Vi är i Nyköping!" Ich bedanke mich, mache auf dem Absatz kehrt und renne jemanden über den Haufen, der noch aus dem Zug aussteigen will. Der Wortwechsel ist kurz und knapp, mehr von Hektik, als von Unfreundlichkeit bestimmt: "Ich will da raus!" "Ich will da rein!" Ich schaffe es noch, wieder in den Zug zu kommen und werde nicht mehr über Amerikaner lachen, die anstatt nach Regensburg nach Augsburg fahren. ´

In Linköping hält diesmal nicht wie sonst der Anschlußzug am Gleis gegenüber, sondern woanders. Der Bahnhof erinnert mich an den Nürnberger Hauptbahnhof. Es gibt eine Unterführung. In Uppsala und Hultsfred z. B. läuft man über die gesamten Geleise an einem Bahnübergang und muß dann eben an seinem Bahnsteig einbiegen. Das habe ich mir anfangs nicht zugetraut, da ich Angst hatte, versehentlich zwischen den Schienen abzubiegen. Man merkt aber mit der Zeit an der Bodenbeschaffenheit den Unterschied. In Linköping ist also alles anders, und ich habe eine richtig nette Unterhaltung mit einer sehr sympathischen jungen Dame, die genauso ein helles Lachen, wie eine meiner besten Freundinnen hat.

In Vimmerby bin ich ziemlich geschafft. Ich lasse mir an der Information ein Taxi bestellen. Ich merke, daß ich vor dem Besuch des Astrid-Lindgren-Museums noch Geld holen muß. Taxis fahren einen, wenn man viele dieser bunt bedruckten Scheine hat, überall hin. Ich sage dem Fahrer, wo ich hin möchte, daß ich aber noch Geld brauche und frage, ob er mir helfen kann. In Franken hätte man die muffelige Antwort "Wenn's mana, des müssen ja Sie zahln", geerntet, oder, daß der Taxler keine Zeit hat, am Geldautomaten zu helfen. Gut, die Laufer Taxifahrer sind Ausnahmen, wie dieser riesengroße Schwede. Ich merke, als ich mich bei ihm unterhake, wie groß der ist. "Inget problem", meint er, pfeift ein Liedchen und die Gute Laune strahlt ihm aus jedem Knopfloch! Es gibt Menschen, die trifft man nur wenige Minuten und sie erhellen den Tag! Dieser Schwede mit seiner wunderbar unerschütterlichen guten Laune und mit so viel ja zum Leben wird mir ein Leben lang im Gedächtnis bleiben.

Am Geldautomaten ist leider nur die Tal-Taste mit Punktschrift beschriftet. Die ""lar" wäre mir lieber. Was hilft mir die Spracheinstellung? Und prompt geht auch alles daneben. Der gut gelaunte Taxifahrer schafft es, meine Karte zu befreien. Ich schlage vor, daß er die Sprache auf Schwedisch stellt und mir vorliest. Und so komme ich auch zu meinem Geld!

Er fährt mich zum Astrid-Lindgren-Museum. Ich kann mir denken, daß die Astrid-Lindgren-Welt überfüllt ist und dort viele Kinder sind. So interessant finde ich die Nachbauten auch nicht. Ich will lieber meinen Vorstellungen aus den Büchern im Kopf treu bleiben und sehe den nächsten Film über Astrid Lindgren, der läuft. Es ist die englische Fassung. Danach erklärt mir eine Museumsangestellte die Bilder. Viel Neues erfahre ich nicht. Anscheinend habe ich wohl eine gute Biographie von Astrid Lindgren zu Hause. Mir bringen die Bilder auch nicht viel. Eine Küche aus dem beginnenden 20. Jahrhundert ist das einzige zum Anfassen. Jetzt wird es aber interessant, denn die Dame bringt mich zu einer Buchhandlung, die zwischen dem Museum und dem Lindgrenwunderland liegt. Ich erwerbe eine Doppel-CD mit Liedern aus ihren Filmen und folgende von ihr selbst gelesene Bücher (oder ausschnitte) auf CD: "Madicken" 3 CD's, ("Madita")
"Pippi Långstrump" 4 CD's, ("Pippi´Langstrumpf"),
"Ronja Rövadotter" 4 CD's ("Ronja Räubertochter"),
"Mio min Mio" 3 CD's ("Mio, mein Mio"),
"Emil i Lönneberga & Nya hyss av Emil i Lönneberga", 3 CD's ("Michel aus Löneberga und neue Streiche von Michel aus Löneberga").
Astrid Lindgren zu ehren habe ich die Originaltitel übernommen. Sie hat die Kinderseelen in Ihrer Tiefe, größe, aber auch Leichtigkeit so gut verstanden, wie kaum eine zweite.

Ich bestelle ein Taxi und suche ein Hotel. Bei der zweiten Empfehlung des Fahrers ist noch etwas frei. Ich sage, daß ich nicht viel brauche und bekomme ein angeblich "einfaches" Zimmer. WC, Dusche und Waschbecken sind vorhanden. Das Telefon steht auf der Fensterbank, findet aber auch seinen Platz. Ob ein Fernseher da ist, weiß ich nicht mehr, ich höre lieber Radio. Und, es gibt eines. Das Zimmer hat keinen Tisch, gegenüber von meinem Bett steht ein Klappbett. Darauf lege ich mein Handy ab. Die Hotelangestellte meint, daß alles recht einfach sei, ich bin jedoch vollauf zufrieden. Hauptsache, ich bekomme ein Abendessen. Und das gibt es auch! Ich lasse mich richtig verwöhnen! Das Essen gibt's vom Grill in einem Pavillon. Durch den Regen glitschige Treppen und ein rutschiger Holzboden sind auf dem Weg dort hin zu überwinden. Alles klappt aber. Ich esse einen Grillteller. Rustikal ist alles. Von der Gartenmöbelgarnitur über die Biertische bis zum Besteck. Aber, mir gefällt's! Das Fleisch ist super, die beigegebene Bratwurst ist schwedisch. Nürnberger sind halt Nürnberger. :-) Anschließend esse ich ein Eis mit frischen Erdbeeren und Sahne und trinke einen Kaffee. Ein Kind hüpft über den Holzboden, zwischen Pavillon und Hotel und ich bin kurz davor zu sagen, daß es durch den Regen sehr glatt ist und das Kind aufpassen soll. Ich will mich nicht in die Erziehung der Eltern einmischen und schweige. Ein sirenenähnliches Kindergeheul von Unten erschreckt mich später im Zimmer. Es ist dieses langgezogene Schmerzgeheul, das andauert, bis das Kind wieder Atem holen muß und mir, egal ob von meinem Sohn oder meiner Schwester, bestens bekannt ist, mich frieren läßt und mir das Herz zusammen zieht. Das klingt nicht gut und ich mache mir Vorwürfe. Ich horche auf etwaige Aufgeregtheit Unten. Es scheint wohl dann doch nicht so schlimm gewesen zu sein.

Es gibt den Film "Schlaflos in Seattle". Ich schreibe hier im Bericht die Episode "Schlaflos in Småland". In dieser Nacht übt zwar niemand Schlagzeug, aber vor meinem Zimmerfenster liegt eine Glasflasche, die von besoffenen Jugendlichen (das Hotel ist im Zentrum) gekickt wird. Jedesmal, wenn ich Stimmen höre, kann ich damit rechnen, daß es bald wieder klirrt. Ich bin zu müde, um aufzustehen und um Ruhe zu bitten. Es grüßt die erste Clique eine andere und die Flasche rollt. Irgendwann schlafe ich ein.


Samstag, 05.07.2003

Nach dem Frühstück gehe ich noch in die Buchhandlung gegenüber vom Hotel und in einen CD-Laden. Ich habe in der Schwedischen Hitparade zwei Lieder gehört, die ich haben will. Eines der Lindgrenhörbücher erwerbe ich nämlich nicht in dem Museumsladen, sondern in der Buchhandlung in der Innenstadt. Mit meinen letzten Kronen zahle ich die Zugreservierung und habe keine einzige Öre mehr!

In Vimmerby sitzt eine Dänin mit Kind im Wartesaal. Sie fährt über Kalmar nach Köpenhamn. Die Verbindung hätte ich auch nehmen können oder irgend eine mit dem Bus. Die Bus-Zug-Kombi wäre die kürzeste gewesen. Aber, wie gut man vom Bahnhof zum Busbahnhof oder zu Haltestellen kommt, weiß ich inzwischen. So mache ich es wie immer und wähle die mit den wenigsten Umsteigern. Lutz hatte mir sie gestern im Internet heraus gesucht und auf das Handy auf die Mailbox gesprochen. Ich habe alles abgeschrieben, weil ich das vor mir sehen muß und nicht, wenn ich gefragt werde, erst die Mailbox abhören will. Die Dänin hatte eine Fahrkarte in Dänemark gekauft. Meine Verbindung ist die für sie günstigere und sie versucht, die dänische Karte bei den Schweden zu tauschen. Vergebens. Sie ist sauer. Ich kann ihr aber auch nicht helfen.

In Linköping bringt mich eine Schaffnerin zum Zug, die selbst auf ihren Anschlußzug nach ihrem Dienstende wartet. Ich habe im Zug den Schaffner gebeten, den Bahnservice in Köpenhamn zu verständigen, damit mich jemand von der schwedischen auf die dänische Bahnhofsseite bringt. Es hat wunderbar geklappt. Letztes Jahr waren die Dänen nämlich gelinde gesagt sauer, daß ich nicht vorher anrufen habe lassen. Gut, diesmal klappt alles. Um zu den Zügen nach Dänemark zu gelangen, muß man eine Straße überqueren oder durch eine Unterführung. Das ist nicht so leicht, wie es klingt. Beides nicht. Es sind irgendwie immer sehr viele Fahrten mit Aufzügen gewesen - nicht nur einmal Runter, durch die Unterführung durch und wieder rauf. Evtl. gelingt es mir, mich irgendwann an den Weg zu erinnern.

Ich will im Speisewagen im Zug nach Deutschland etwas essen. Was ich haben will, ist "aus". Also bestelle ich ein Steak. Es kostet 6,50 Euro und ist kein Vergleich zum Essen in schwedischen Zügen. Die Portion ist klein und von der Qualität her wenig überzeugend.

Ich schlafe schlecht. Wir haben ein wenig Verspätung, was mich nicht weiter stört. In Nürnberg holt mich mein Mann Lutz am Bahnhof ab, und wir fahren Heim.

Ein Traumurlaub mit den Highlights Kiruna, Vasa- und nordisches Museum geht leider zu ende. Was bleibt? Die Freundschaften, die ich geknüpft habe, mein Enthusiasmus für Schweden und Schwedisch, die vielen auch schon mit Lutz gekauften CD's, die mir beim Schwedischverständnis helfen und die Erinnerung! Vorerst muß ich damit leben, hier in Deutschland nie mehr glücklich werden zu können. Ich werde weiter von einem Leben in Schweden träumen. In mir brennt ein Feuer für diese schöne Sprache und das Land, wo meine Seele ihre Heimstatt gefunden hat.

Sandra Grenzer

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© 2003 by Sandra Grenzer
Erstellt am Di, 30.09.03, 15:40:19 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/alltag/reise/schweden.shtml

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