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Wie Blinde die Welt der Farben erfahren

Unsere Welt ist bunt. Ob in der Natur, in der Kunst oder im Alltag - Farben sind nicht wegzudenken. Sie verleihen Lebendigkeit und beeinflussen unsere Stimmungen. Aber auch unsere Sprache ist voll von ihnen: ob wir nun über Konkretes wie das "rote Tuch", Abstraktes wie die "goldene Regel" oder Symbolisches wie die "blaue Blume der Romantik" reden. - Und Farben sind etwas Selbstverständliches.

Der Alltag ist nahezu von Farben beherrscht. Das beginnt schon im Badezimmer bei den verschiedenfarbigen Zahnbürsten für jedes Familienmitglied, setzt sich mit farblich differenzierten Lebensmittelverpackungen fort bis hin zu Liniensignalen bei U-Bahnen und unterschiedlichen Bodenbelägen in Spitälern zur besseren Orientierung. "Die Bilanzen finden Sie im blauen Ordner" erklärt jemand dem neuen Mitarbeiter (und nicht etwa: im Ordner mit der Aufschrift ...); oder "der rote Mantel dort" (und nicht: der Mantel mit dem breiten Schalkragen und dem Gürtel) lautet Ihr Hinweis für die Garderobierin. Farben und Formen sind starke Charakteristika und leicht zu merken.

Auch wer die Fülle der Farben nicht wahrnehmen kann - sei es, weil er farbenblind ist oder überhaupt nicht sehen kann - weiß um die Wichtigkeit der Farben und lernt, sie zumindest zu benennen. Denn eine Frage wie: "Gehört die grüne Mappe Ihnen?" oder der Hinweis: "Eintrittskarten der Kategorie A sind grau, die der Kategorie B rosa" kann schließlich an jeden gerichtet werden. Sich diese Welt der Farben zu erschließen, wenn man sie nicht wahrnehmen kann, ist mit einiger Mühe verbunden und bedarf einer beachtlichen Gedächtnisleistung.

Kein Wunder also, daß eine österreichische Erfindung namens ColorTest nahezu weltweite Aufmerksamkeit, ja Bewunderung hervorgerufen hat. Dieses Gerät der Firma CareTec ermöglicht es nämlich blinden Menschen, Farben zu erkennen - wenn auch nicht zu sehen.

Ohne Licht gibt es keine Farben. Trifft Licht auf einen Gegenstand, so wird dieses zum Teil absorbiert, zum Teil reflektiert. Schwarze Gegenstände reflektieren kein Licht, absorbieren es also vollständig, bei weißen Gegenständen verhält sich die Sache umgekehrt. Licht setzt sich aus den Spektralfarben zusammen, wobei die Übergänge zwischen den Farben fließend sind. So liegt violett zwischen rot und blau, türkis zwischen blau und grün und orange zwischen gelb und rot. Der ColorTest hat eine eigene Lichtquelle. Der Lichtstrahl dieser Lichtquelle, der ebenfalls aus den Spektralfarben besteht, beleuchtet den zu messenden Gegenstand. Das vom Gegenstand reflektierte Licht trifft auf lichtempfindliche Sensoren (sie entsprechen den Sinneszellen des menschlichen Auges). Die Sensoren wandeln das Licht in elektrische Signale um. Diese werden in Werte für Farbe, Helligkeit, Intensität und einen Wert für die Farbenskala umgerechnet und sind auf Knopfdruck akustisch abrufbar.

Das klingt nicht nur kompliziert, das ist es auch. Bereits im Jahr 1990 gab es in Japan den Prototyp eines Farberkennungsgerätes, das jedoch nie auf den Markt kam; die Fehlerquote bei der Erkennung war zu hoch. In Anbetracht der schwierigen Aufgabe ist es besonders erfreulich, daß gerade dem kleinen Land Österreich die Lösung geglückt ist. Wie sehr man diese Erfindung weltweit zu würdigen weiß, zeigt beispielsweise, daß der Firma CareTec seitens des Canadian National Institute for the Blind im Jahr 1993 der "Winston Gordon Award" verliehen wurde. Noch im gleichen Jahr erhielt die Firma den "Mercur" der Wiener Wirtschaftskammer und dieses Jahr den Louis-Braille-Preis des Deutschen Blindenverbandes.

Bild: Farberkennungsgerät Colortest der Fa. CareTec

Freilich ersetzt eine solche Erfindung, so revolutionär und beeindruckend sie auch ist, nicht das menschliche Auge. Farben sehen ist ja nicht nur ein objektiver, sondern auch ein subjektiver Vorgang. Bei Mischfarben gehen die Meinungen über Farben oft stark auseinander; auch gibt es so viele Modefarben, die nur ganz wenige richtig benennen können. Für derlei "spitzfindige" Differenzierungen ist der ColorTest freilich nicht gedacht. Sein Einsatzgebiet liegt vor allem im praktischen Bereich. Zum Beispiel hat es die blinde Hausfrau nun leichter festzustellen, ob zwei Socken tatsächlich ein Paar bilden und ob sie das beige oder weiße Hemd ihres Mannes bügelt. Sind zwei Lebensmittelpackungen verschiedenfarbig, läßt sich leicht die gesuchte Packung identifizieren. Diese Beispiele lassen sich - nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Bereich - beliebig fortsetzen.

Aber der ColorTest erkennt nicht nur Farben, sondern kann durch unterschiedlich hohe Töne auch anzeigen, ob etwas einfarbig oder bunt ist. Auf diese Weise läßt sich ganz einfach feststellen, ob ein Blatt Papier beschrieben oder leer ist oder ob man bei einem Geschenkpapierbogen die weiße oder gemusterte Seite vor sich liegen hat.

Für mich gibt es keinen Zweifel, daß der ColorTest für alle, die keine Farben sehen können, eine äußerst nützliche und wichtige Erfindung ist. Da ich selbst aber zu jenen blinden Menschen gehöre, die früher noch Farben gesehen haben, ist das Gerät für mich weit mehr: Bei jeder Farbmessung versuche ich, mir anhand der gelieferten Daten über Farbanteile, Helligkeit und Intensität ein "Bild" von dem Meßergebnis zu machen. Mag sein, daß manchmal meine Vorstellung von der Farbe der Realität nicht ganz entspricht - aber plötzlich ist die Welt wieder bunt und farbenfroh geworden.

Eva Papst

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© by Eva Papst
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin)
Erstellt am Sa, 03.03.01, 07:49:28 Uhr.
URL: http://www.anderssehen.at/alltag/berichte/color.shtml

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